Die Sterne lügen nicht — sie wiederholen sich aber ständig: Text-Re-use in Horoskopen

Posted on 15th Februar 2016 in Datengeleitete Analysen, n-Gramme, Off Topic, Textklassifikation

Kaum ein großes Online-Medium jenseits des Qualitätsjournalismus kommt ohne Horoskop aus. Und das, obwohl schon Adorno der Astrologie vor mehr als 50 Jahren bescheinigte, dass die sozialen und psychologischen Bedingungen, die sie ermöglichten, mit dem (damaligen) allgemeinen Aufklärungszustand unvereinbar seien.


Astrologie zwischen Rationalität und Irrationalität

Aus Sicht der Astrologie wirken Gestirnkonstellationen unmittelbar auf den irdischen Gang der Dinge. Sie vermittelt damit ein Weltbild, in dem jeder Mensch unter dem Einfluss objektiver, abstrakter und depersonalisierter Kräfte handelt. So objektiv mess- und berechenbar der Lauf der Gestirne auch sein mag, über die Art und Weise ihres (vermeintlichen) Einflusses auf die Schicksale der Menschen lässt die Astrologie uns im Dunkeln. Dieses Nebeneinander von Rationalität, Empirismus und Transzendenz hat Adorno im Oxymoron des naturalistischen Supranaturalismus gefasst. Folgt man Adorno, korrespondiert dieses Weltbild der Wahrnehmung vieler Menschen in funktional hochgradig differenzierten Gesellschaften: die Unübersichtlichkeit der Welt und die Sinnlosigkeit und Berdohlichkeit sozialer Prozesse wird durch den Glauben an eine Instanz kompensiert, die ein Versprechen auf rationale Begründbarkeit des ansonsten Unerklärlichen gibt. Auf diese Weise wirkt die Astrologie in doppelter Hinsicht stabilisierend auf die Gesellschaft, indem sie den herrschenden Rationalitätstyp bestätigt und die Irrationalitäten der sozialen Ordnung erklärbar macht.

Das Horoskop ist ein Text. Dieser Text leitet bestimmte Aspekte des Lebens einer Personengruppe, die über den Zeitpunkt ihrer Geburt definiert ist, aus einer aktuellen Gestirnkonstellation kausal ab; das klingt dann etwa so: „Unter dem aktuellen Jupiter-Uranus-Einfluss wird Ihr scharfer Zwillinge-Geist noch einmal geschärft.“ Je ausführlicher ein Horoskop ist, desto gründlicher wird die Gestirnkonstellation als argumentative Ressource genutzt. In den knappen Pressehoroskopen fällt sie dagegen sogar häufig zugunsten deutungsoffener und deshalb für jeden mit individuellem Sinn füllbarer Aussagen weg.

Sprachliche Analysen wie die von Katja Furthmann haben an Pressehoroskopen eine Reihe von Themen (Liebe, Beruf, Freizeit und Freundschaft, Gesundheit, Finanzen) und wiederkehrenden Topoi, die sich um den Metatopos des erfüllten, ausgeglichenen Lebens gruppieren („Sie haben hohe Ansprüche – gut so. Aber bitte verlangen Sie nichts Unmögliches“, „So schön die Sommerpartys auch sind, Sie sollten mal wieder richtig ausschlafen“), herausgearbeitet.


Reverse Engineering des Transzendenten mittels maschineller Textanalyse?

Wenn Horoskoptexte Übersetzungen von Gestirnkonstellationen in für den Einzelnen anschlussfähige Darstellungen künftigen Erlebens sind, dann müsste in der Analyse sprachlicher Muster von Horoskoptexten und ihrer Distribution die höhere Ordnung, die den Gang unserer aller Leben bestimmt, zumindest aufscheinen — so dachte ich. Vielleicht wäre es sogar möglich wie bei einem Reverse Engineering die Strukturen und Verhaltensweisen der Konstruktionselemente unserer Welt zu extrahieren. Ich machte mich also daran, Horoskope zu sammeln.

Das Sammeln der Horoskope gestaltete sich jedoch schwieriger als gedacht. Denn obwohl jedes größere Online-Medium täglich ein Horoskop veröffentlicht, werden die Horoskoptexte nicht archiviert. Meist ist nur das tagesaktuelle Horoskop verfügbar, selten noch das vom Tag vorher und die Horoskope weiterer Tage. Und fast immer stammen die Horoskope aus derselben Quelle, die mit lizensierten Astrologen, Content nach Maß und flexiblen Push- bzw. Pullservices wirbt.

Endlich wurde ich aber in den Tiefen und Oberflächen des Netzes fündig und konnte gemeinsam mit einem Kollegen für den Zweck der Erforschung von Textmustern 383 Tageshoroskope für jedes der zwölf Sternzeichen extrahieren. Eine simple datengeleitete Analyse gängiger Phrasen zeigte schon, dass die insgesamt 4596 Texte hochgradig rekurrent sind. Das ganze Ausmaß der Text-Re-use wurde mir aber erst deutlich, als ich die längste Überschneidung zwischen zwei Texten (longest common substring) berechnete. Mehrere Horoskoptexte waren völlig deckungsgleich. Und nicht nur das.


Im Himmel nichts Neues

Die 4596 Tageshoroskope wurden mit gerade einmal 894 unterschiedlichen Texten bestückt. Von diesen wurden 568 Texte, das sind 65.5%, mehrfach benutzt. 146 von ihnen sogar zehn mal und mehr. Der am häufigsten gebrauchte Text fand 88 mal Verwendung! Der Text besteht aus zwei Sätzen, die den Angehörigen der Zielgruppe am betreffenden Tag eine außerordentliche Selbstreflexion hinsichtlich ihrer Emotionen und Ziele voraussagt und ihnen auch einen erfüllten Kontakt mit ihren Mitmenschen prophezeit:

Sie sind sich Ihrer Gefühle, Wünsche und Bedürfnisse auf ungewöhnlich klare Weise bewusst und können entsprechend für Ihr Wohlbefinden sorgen. Auch für die Anliegen anderer sind Sie offen und begegnen ihnen mit einer menschlichen und warmen Herzlichkeit.

Positive Emotionen und herzliche Kontaktfreude sind durchweg die Themen der am häufigsten verwendeten Tageshoroskope, auch bei dem mit 72 mal am vierthäufigsten verwendeten Text:

Mehr als üblich sprechen Sie über Ihre Gefühle. Durch das Gespräch finden Sie leicht Kontakt und zeigen vermutlich auch Interesse für das Seelenleben anderer. Sie formulieren Ihre Gedanken nicht besonders sachlich und logisch, dafür umso menschlicher.

Der Traum vom Reverse-Engineering platzte endgültig, als ich die Distribution der Text über die Zeit und die Sternzeichen analysierte. Beim häufigsten Horoskoptext lässt diese Verteilung auf den ersten (und auch nicht auf den zweiten) Blick keine Muster erkennen.



Der Text streut unsystematisch über alle Sternzeichen und den gesamten Zeitraum. Einzige Restriktion: Der Text kann am selben Tag nicht bei zwei Sternzeichen gleichzeitig erscheinen. Dagegen ist es aber durchaus möglich, dass er beim gleichen Sternzeichen an zwei aufeinanderfolgenden Tagen erscheint, ja sogar an drei, wie das Beispiel des dritthäufigsten Textes belegt:



Die Analysen über das gesamte Sample zeigten keine nennenswerte Kovariation, der tiefere Sinn der Textwahl blieb ihnen ebenso verborgen wie die für den Uneingeweihten unsichtbaren Kräfte, die unsere Schicksale steuern.

Mein heutiges Horoskop lautet: „Sag es mit einem Lächeln! heißt Ihr Tagesmotto.“ Ich sei heute mitteilsam und kompromissbereit. Meine freundliche, friedfertige Stimmung werde mit mit vielen Menschen in Kontakt bringen und könne zwischen unterschiedlichen Meinungen vermitteln und eine gemeinsame Basis schaffen. Ein guter Tag, um endlich mal wieder zu bloggen, denke ich mir. Und mein heutiger Horoskoptext kommt in meinem Korpus sogar nur neun mal vor! Das ist gemessen an der sonstigen Wiederverwertungsorgie nachgerade ein individueller Text und wird ganz sicher stimmen. Wie alle Horoskope.


Literatur

Adorno, Theodor: Aberglaube aus zweiter Hand. In: Gesammelte Schriften. Band 8. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1997, S. 142-167.

Aphek, Edna, Yishai Tobin: The Semiotics of Fortune Telling. Amsterdam u.a.: Benjamins 1989.

Furthmann, Katja: Die Sterne Lügen nicht. Eine linguistische Analyse der Textsorte Pressehoroskop. Göttingen: V&R unipress 2006.


Maschinelle Analyse narrativer Muster: Wie Männer und Frauen vom “Ersten Mal” erzählen

Posted on 5th September 2014 in Kollokationen, n-Gramme, Off Topic, Visualisierung

Ich hatte mein erstes Mal -> mein erstes Mal mit # -> nahm mich in den Arm -> fragte er mich ob ich -> wir bei ihm zu Hause -> seine Eltern nicht da waren -> kam er auf mich zu -> mich zu küssen und ich -> legten uns auf sein Bett -> fragte mich was los sei -> noch nie einen Freund gehabt -> zogen wir uns gegenseitig aus -> Wir küssten uns leidenschaftlich und -> Dann zog ich ihm seine -> Er schaute mich an und -> schaute mich an und fragte -> an und fragte ob ich -> mit ihm schlafen wolle und -> Er holte ein Kondom aus -> Dann drang er vorsichtig in -> er vorsichtig in mich ein -> Er fragte mich ob ich -> Als er merkte dass ich -> nahm mich in den Arm -> seit # Jahren zusammen und

Diese Phrasen bleiben von einer Geschichte vom „Ersten Mal“, wenn man von ihr das Vereinzelnde, Individualisierende wegnimmt und nur jene Teile der sprachlichen Gestaltung übrig lässt, die auch in anderen Geschichten zum gleichen Thema häufig vorkommen.

Wenn wir unseren Alltag erzählen, dann bedienen wir uns kulturell geprägter Muster. Diese Narrative sind sozial akzeptierte Interpretationsmuster, die unsere Wahrnehmung und Darstellung von Zusammenhängen überhaupt erst ermöglichen, aber gleichzeitig auch begrenzen. Obwohl sie höchst Persönliches und Individuelles zu codieren vorgeben, folgen auch Narrative vom „Ersten Mal“ kulturell geprägten Mustern, denen man sich mit maschinellen Methoden nähern kann. Zusammen mit Noah Bubenhofer und Nicole Müller habe ich 3376 Geschichten vom „Ersten Mal“ auf geschlechtsspezifische Unterschiede hin untersucht.

Sämtliche Geschichten wurden auf den Internet-Plattformen rockundliebe.de (2094 Erzählungen), Erstes-Mal.com (385 Erzählungen) und planet-liebe.de (897 Erzählungen) gesammelt. Die Webseiten wurden automatisiert heruntergeladen, die Texte extrahiert, mit Metainformationen (Alter beim Ersten Mal und Geschlecht) versehen, mit Hilfe des TreeTagger lemmatisiert und mit Part-of-speech-Informationen annotiert. Zusätzlich wurden alle Zahlen durch ein Raute-Symbol ersetzt. Insgesamt umfasst das Korpus 1.886.588 laufende Wortformen. Im Hinblick auf die Dimension Geschlecht ist das Korpus ungleich verteilt: rund 73% der Geschichten stammen von Frauen, nur rund 27% von Männern. Geschichten von Frauen waren mit durchschnittlich 567.9 Wörtern um rund 33 Wörter länger als die von Männern (534.5). Das Durchschnittsalter beim Ersten Mal, wie es von den Autorinnen und Autoren angegeben wurde, lag bei Frauen bei 15.8, bei Männern bei 16.8 Jahren.

Als Analysekategorien dienten uns die Distribution und Verkettung von n-Grammen. Die folgende Tabelle zeigt einen Vergleich der für das jeweilige Korpus typischsten n-Gramme:


Männer-Korpus Frauen-Korpus
llr n-gram f(1) f(2) llr n-gram f(1) f(2)
145,33 fragte sie mich ob ich 0 54 80,84 drang er in mich ein 134 0
88,81 fragte ich sie ob sie 0 33 77,82 ob ich mit ihm schlafen 129 0
75,36 drang ich in sie ein 0 28 68,97 fragte er mich ob ich 167 5
67,28 Ich fragte sie ob sie 0 25 60,93 in mich ein Es tat 101 0
64,59 drang langsam in sie ein 0 24 60,93 legte er sich auf mich 101 0
64,59 setzte sie sich auf mich 0 24 47,66 legte sich auf mich und 79 0
64,59 und zog es mir ueber 0 24 47,66 und drang in mich ein 79 0
61,9 setzte sich auf mich und 0 23 45,85 nahm mich in den Arm 76 0
59,21 sie sich auf mich und 0 22 44,64 und legte sich auf mich 74 0
56,52 ob ich mit ihr schlafen 0 21 44,04 fing er an mich zu 73 0
53,83 Sie fragte mich ob ich 0 20 43,43 er sich auf mich und 72 0
53,83 in sie ein Es war 0 20 42,83 in mich ein Es war 71 0
53,83 mir ein Kondom ueber und 0 20 41,81 Er fragte mich ob ich 123 6
53,83 und ich fragte sie ob 0 20 41,02 und zog es sich ueber 68 0
51,13 fluesterte sie mir ins Ohr 0 19 40,42 ihn in mir zu spueren 67 0
51,13 ich fragte sie ob sie 0 19 40,42 Er legte sich auf mich 67 0
48,44 an mir einen zu blasen 0 18 38 er fragte mich ob ich 63 0
48,44 ich drang in sie ein 0 18 38 mich ob ich mit ihm 63 0
48,44 legte sich auf den Ruecken 0 18 35,59 fragte mich ob ich es 59 0
48,44 mir das Kondom ueber und 0 18 34,38 Ich war mit meinem Freund 57 0


Aus diesen Listen wird unter anderem erkennbar, dass die verbale Handlung des Fragens, oder präziser: des Einholens von Einverständnis, offenbar häufig Bestandteil von Erstes-Mal-Erzählungen sind. Ebenso zeigen sich einige wenige geschlechtsspezifische Unterschiede: etwa die Referenz auf die Dauer der Beziehung („Ich war mit meinem Freund“).

Als eine erste Annäherung an die narrative Struktur haben wir die typischen Positionen von n-Grammen in den Texten bestimmt. Hierfür haben wir alle Texte in mehrere jeweils gleich große Teile geteilt und dann untersucht, in welchen Teilen der Erzählungen die n-Gramme mit welcher Frequenz vorkommen. Die folgenden Abbildungen zeigen die Distribution einiger n-Gramme, deren Positionierung im Text geschlechtsspezifische Unterschiede aufweist. Dies sind beispielsweise n-Gramme, die sexuelle Erfahrung und Beziehungsstatus betreffen:



Distribution von n-Grammen in den Geschichten von Männern und Frauen (normalisierte Werte)

Distribution von n-Grammen in den Geschichten von Männern und Frauen (normalisierte Werte)



Während das n-Gramm „für uns beide das erste“ von Frauen im ersten und vorletzten Abschnitt am häufigsten gebraucht wird, erwähnen Männer die Tatsache, dass es für beide das Erste Mal war, erst am Ende ihrer Erzählungen. Auch das n-Gramm „schon # Monate zusammen und“ wird von Frauen dominant in den ersten Teilen ihrer Geschichten verwendet, Männer hingegen benutzen es am Ende. Eine Kontextanalyse zeigt allerdings, dass bei Verwendung des n-Gramms am Ende einer Erzählung der Geschlechtsakt der Auftakt der Beziehung war, die ihre Fortsetzung bis in die Gegenwart zum Zeitpunkt des Schreibens hat; die Verwendung des n-Gramms zu Beginn einer Erzählung stellt die Dauer der bereits bestehenden Beziehungen dar.

Größere Differenzen in der Distribution zeigen sich auch bei n-Grammen, die auf Schlüsselhandlungen im Kerngeschehen verweisen.



Distribution von n-Grammen in den Geschichten von Männern und Frauen (normalisierte Werte).

Distribution von n-Grammen in den Geschichten von Männern und Frauen (normalisierte Werte).



So sind die n-Gramme „uns in die Augen und“ und „gab mir einen Kuss und“ je gegensätzlich verteilt. Während in den Erzählungen der Frauen der Kuss am Anfang jener Abschnitte zu finden ist, die sich mit sexuellen Handlungen befassen, berichten Männer hier vorwiegend von Blicken in die Augen; Männer berichten, am Ende der sexuellen Aktivitätsphase geküsst zu werden, Frauen erzählen hier dagegen vom Austausch von Blicken. Dies könnte man so deuten, dass für Frauen mit dem Vollzug des Geschlechtsaktes eine Intensivierung der Beziehung einhergeht, die für den Mann durch die Gabe des Einverständnisses zum Geschlechtsakt durch den tiefen Blick bereits erreicht ist und sich dann im Akt manifestiert. Ein weiterer Aspekt könnte sein, dass Männer narratologisch versichern wollen, dass Einverständnis vorgelegen hat, Frauen dagegen, dass zwischen den Partner emotionale Nähe herrschte. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass sich aufgrund kultureller Stereotype geschlechtsspezifische Ängste mit dem „Ersten Mal“ verbinden. In diesen Kontext passen auch die Positionsdifferenzen des n-Gramms „küssten uns die ganze Zeit“. Während das fortwährende Küssen in den Erzählungen der Männer Teil von „Vor-“ bzw. „Nachspiel“ zu sein scheint, schildern Frauen ihr Erstes Mal so, dass das Küssen Bestandteil aller Phasen des Kerngeschehens sein kann.

Unser Verfahren zur Rekonstruktion narrativer Muster auf der Makroebene kombiniert typische Musterpositionen mit n-Gramm-Verkettungen (d.h. kookkurierenden n-Grammen) und visualisiert sie als hierarchischen Graphen. Der folgende Graph (hier als PDF zum Vergrößern), der Tetragrammverkettungen in den Geschichten von Frauen illustriert, bildet die Abfolge von Mustern in der vertikalen Dimension (von oben nach unten) ab. Mehrere voneinander unabhängige narrative Muster im gleichen Abschnitt, das heißt an ähnlichen Erzählpositionen, werden nebeneinander dargestellt. In diesem Graphen sind Bereiche von geringer phraseologischer Durchdringung und Verdichtungsbereiche sichtbar.



Narrationsgraph für die Erzählungen von Frauen

Narrationsgraph für die Erzählungen von Frauen



Muster in 1 referieren auf das Alter der Hauptpersonen der Erzählung:

Mein erstes Mal hatte – ich mit meinem Freund – hatte ich mit # – erstes Mal mit # – Bei meinem ersten Mal – ersten Mal war ich – Freund und ich waren – Ich war damals # – Ich war # und – # und er war – älter als ich und – ist # Jahre älter

Muster in 2 referieren auf die Dauer der Beziehung:

# Monate mit meinem – Monate mit meinem Freund – # Wochen mit meinem – mit mei-nem Freund zusammen – # Monate mit ihm – Monate mit ihm zusammen

Muster in 3 referieren auf die Frage des Mannes nach dem Einverständnis:

schaute mir tief in die – schaute mir lange in die – in die Augen und – fragte mich ob ich – Er fragte mich ob – mit ihm schlafen – ich es wirklich will – ich es wirklich wollte

Muster in 4 referieren auf das sexuelle Geschehen, in dem vor allem der Mann aktiv ist:

Er holte ein Kondom – Kondom aus seiner Hosentasche – aus seiner Tasche – Kondom aus seinem Nachttisch – holte ein Kondom raus – und streifte es sich – zog es sich über – sich über und drang – ganz vorsichtig in mich – langsam und vorsichtig in – langsam in mich ein – drang in mich ein – in mich ein Es – Es tat überhaupt nicht – tat überhaupt nicht weh

Muster in 5 referieren auf den gegenwärtigen Beziehungsstatus:

Und wir sind immer – immer noch zusammen und – immer noch mit ihm – noch mit ihm zusammen – Schatz ich liebe dich – liebe dich über alles

Die Umrisse der typischen Erzählung vom Ersten Mal aus der Sicht von Frauen werden anhand dieses Verfahrens gut sichtbar. Alternative Erzählstränge, die sich teilweise paral-lel zu den grau hinterlegten Teilen befinden, beziehen sich auf die Aspekte Schmerz („erst tat es ein“, „ein bisschen weh aber“, „dann war es einfach“, „es einfach nur noch“), praktische Unerfahrenheit („versuchte in mich einzudringen“) und die Evaluation („Es war ein wunderschönes“, „Es war ein unbeschreibliches“, „war ein unbeschreibliches Gefühl“, „Ich hätte nie gedacht“).

Aus dem folgenden Narrationsgraph (hier als PDF zum Vergrößern), der die Muster aus männlicher Perspektive verfasster Geschichten visualisiert, will ich nur zwei Auffälligkeiten aufgreifen.



Narrationsgraph der Geschichten von Männern

Narrationsgraph für die Erzählungen von Männern



Zum einen sind dies jene sprachlichen Muster im mit 1 bezeichneten Bereich, die auf die Einholung des Einverständnisses zum Geschlechtsakt verweisen. Hier ist es so, dass die Frage von männlicher wie weiblicher Seite kommen kann („fragte sie mich ob“, „ich fragte sie ob“). Zum anderen findet sich im mit 2 bezeichneten Bereich (siehe die nächste Abbildung) eine auffällige Verbindung mehrerer n-Gramme mit der Mehrworteinheit „Sie meinte ich solle“.



Ausschnitt aus dem Narrationsgraphen der Männer

Ausschnitt aus dem Narrationsgraphen der Männer



Die Analysen zeigen, dass Geschichten vom Ersten Mal von Männern und Frauen recht ähnlich erzählt werden und zwar nicht nur im Hinblick auf das sexuelle Geschehen, sondern auch im Hinblick auf die verbalen Handlungen, die ihm vorausgehen und es begleiten. Zentraler Bestandteil typischer Erzählungen beider Geschlechter ist die verbale Verständigung über die Bereitschaft zum Geschlechtsakt und die explizite Gabe des Einverständnisses durch die Frau. Das von der Paarsoziologie als Schwellen-Wendepunkt bezeichnete Erste Mal wird also als eine durch Einverständnis der Frau legitimierte Handlungsfolge erzählt, in der der Mann mehr Handlungsmacht hat als die Frau.

Die Ergebnisse der Analyse haben wir in folgendem Artikel zusammengefasst, den es auch als Preprint gibt:

Bubenhofer, Noah / Nicole Müller / Joachim Scharloth (2014): Narrative Muster und Diskursanalyse: Ein datengeleiteter Ansatz. In: Zeitschrift für Semiotik. Band 35, Heft 3-4 (2013), S. 419-444.


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Franz Josef Wagner liebt, hasst, ist froh, hat Angst, weiß, weiß aber vor allem nicht und schämt sich

Posted on 10th Juni 2014 in n-Gramme, Off Topic

Franz Josef Wagner hat mit seinen Briefen ein eigenes Genre geschaffen. Nun hat er seinen Vertrag als Kolumnist verlängert. Zeit, ihn mit einem korpuslinguistischen Porträt zu würdigen. Denn während seine Leserinnen und Leser vor allem Vergnügen bei der Lektüre seiner Texte empfinden, wenn sie sich in der Lage sehen, diese als Satire aufzufassen, entfaltet Wagner in seinen Briefen einen außerordentlich facettenreichen Gefühlshaushalt, der in rekkurrenten sprachlichen Mustern greifbar wird.

Im Folgenden daher eine Zusammenstellung von Ich-Botschaften des Meister-Kolumnisten, die ausgehend von frequenten Emotionsausdrücken (Ich liebe, Ich hasse, Ich habe Angst, …) typische Verästelungen der Seele als Äste und Blattwerk eines n-Gramm-Baumes nachzeichnen. Und dies auf der Basis von mehr als 1300 Briefen.


Wagner liebt

74 mal beginnt Wagner seine Sätze mit den Worten „Ich liebe“. Wagner liebt außerordentliche Persönlichkeiten: „Ich liebe meine Kanzlerin“ und „Ich liebe Schäuble im Rollstuhl“, hat aber auch ein Herz für Normalsterbliche „Ich liebe Basis-Menschen“. Und Wagner liebt die alltäglichen Dinge, darunter „mein Auto“, „mein Kino“, „mein Kätzchen“, „mein Land“, „meinen Buchladen“.

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Eine erotische Komponente scheint bei „Ich liebe Frauen“ (4x) auf, wenn Wagner gesteht „Ich liebe himmlisch riechende Frauen“ und „Ich liebe nackte Beine“. Seine Verbundenheit mit den elemantaren Dingen des Lebens drückt sich auch in einer tiefen Zuneigung zu den folgenden Gegenständen aus: „Ich liebe die Sonne“, „Ich liebe den Sommer“, „Ich liebe den Winter“, „Ich liebe Berlin“.


Wagner hasst

Doch wo viel Liebe ist, dort ist auch Hass. 35 mal beginnt er Sätze mit „Ich hasse“.

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Wenn Franz Josef Wagner hasst, dann sind es das Wetter (Schnee, Frühfrost, Nebel, Winter, Affenhitze), Leute, die was zu sagen haben (Schiedsrichter, Hitler), bestimmte Erscheinungen der deutschen Sprache (gebrochenes Deutsch, Krüppel-Sprache, Sprache der Klugscheißer, Mobilfunk-Sprache), Dinge im Fernsehen (ARD-Reportagen, TV-Doktoren, Werbeunterbrechungen) und Dinge, die uns vermeintlich unabänderlich erscheinen (Arterien, die Farbe Weiß, Werbeunterbrechungen, Hochmut der Deutschen, das Rauchen), die ihn erzürnen.


Wagner ist froh

Wenn Franz Josef Wagner froh ist, dann darüber, dass er Franz Josef Wagner und am Leben ist. Daneben freut er sich über Olympiaden, Mauerfälle und wenn mal wieder jemand zurückgetreten ist.

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Wagner weiß, weiß aber vor allem nicht

130 mal sagt Wagner „Ich weiß“! Das ist mal ein verständnisvolles „Ich weiß, dass Sie leiden“, mal ein von Einsicht für das Unverständnis seiner Mitmenschen getragenes „Ich weiß , dass mein Prügelimpuls Befremden auslöst“. In 105 Fällen freilich gesteht Wagner sein Nichtwissen ein.

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Neun mal konstatiert er souverän „Ich weiß es nicht.“, vier mal ist sein Wissen dem Vergessen anheim gefallen („Ich weiß nicht mehr“). Darüber hinaus räumt er (in der Reihenfolge ihrer Frequenz) ehrlich ein „Ich weiß nicht, wie“ (34x), „Ich weiß nicht, ob“ (16x), „Ich weiß nicht, was“ (14x), „Ich weiß nicht, wer“ (6x), „Ich weiß nicht, warum“ (6x). Dabei hat das Unwissen durchaus universalen Charakter in seiner Kolumne:

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Wenn Wagner konstatiert „Niemand weiß, wann und warum“, „Niemand weiß, wer Sie wirklich sind.“, „Niemand weiß, was sie denken.“, „Niemand weiß, wer er ist.“ oder „Niemand weiß, was uns droht.“, dann wird das Unwissen als tragischer Zustand alles Seienden sichtbar.



Wagner hat Angst

Wer so wenig weiß, hat Angst. Selten hat er „Angst um“ seine Adressaten oder „um Jogis Jungs“, obwohl diese durchaus angebracht wäre.

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Wagner hat vielmehr Angst davor, Rentner oder ein Pflegefall in Deutschland zu werden, vor Krebs, vor den letzten Tagen. Aber auch vor Kim Jong-un und einem Wachs-Hitler (und bemerkenswerte Koinzidenz: Angst auf der Autobahn). Und schließlich hat er Angst nachts in Berlin, Angst vor Berlin und Angst, nachts durch Berlin zu gehen.


Wagner schämt sich

Häufig kann Wagner auch umhin, sich für die Untaten seiner Adressaten oder für uns alle zu schämen.

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Doch was wäre das Psychogramm des Kolumnisten ohne sein Bewusstsein, von Zeit zu Zeit selbst soziale Erwartungen enttäuschen zu müssen, das sich im Gefühl der Scham äußert. Etwa wenn er schreibt: „Ich schäme mich für mein Talent“. Der Meister leidet an seinem Talent und der empfindsame Leser ist in diesem Gefühl ganz bei ihm.


E-Mail-Verschlüsselung im Uni-Alltag

Posted on 21st November 2013 in Off Topic
E-Mail-Verschlüsselung im Alltag

E-Mail-Verschlüsselung im Alltag

Liebe Freunde der Sicherheit,

Seit Semesterbeginn versuche ich, innerhalb meiner Universität verschlüsselt zu kommunizieren. Die Snowden-Enthüllungen haben ein Klima geschaffen, in dem es eine hohe Akzeptanz für den Wunsch gibt, Kommunikation zu verschlüsseln, auch wenn damit zunächst die Überwindung technischer Hürden verbunden ist. Die Kollegen an der Fakultät für Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaft sind zwar grundsätzlich interessiert, winken aber ab, weil ihnen die Zeit für die „Einarbeitung ins Thema“ fehle. Anders ist es mit den Studierenden, die sich auch durch folgende Ankündigung auf meiner Website und in meiner Signatur motivieren lassen:

++ verschlüsselte E-Mails werden prioritär beantwortet ++

Und tatsächlich beantworte ich verschlüsselte Mails meist innerhalb sehr kurzer Zeit, in jedem Fall noch am selben Tag.

Datenschutz und E-Mail-Verschlüsselung an Universitäten

Verschlüsselung ist deshalb notwendig, weil innerhalb der Universität ständig mit sensiblen personenbezogenen Daten hantiert wird. Der Schutz dieser Daten ist an der TU Dresden eindeutig geregelt: Die „Rahmenordnung für die Rechen- und Kommunikationstechnik und die Informationssicherheit an der TU Dresden“ vom 08.01.2009 schreibt vor, dass die „übertragung von sensiblen personenbezogenen Daten“ über das Internet, insbesondere mittels E-Mail, „nur in verschlüsselter Form“ erfolgen darf. Unter sensible personenbezogene Daten fallen Daten der Datenschutzklassen C und D, von denen die Bereiche Studentenverwaltung, Prüfungsverwaltung und Zulassungswesen die Studierenden betreffen. Nicht zwingend, aber empfohlen ist die Verschlüsselung auch bei personenbezogenen Daten, deren Missbrauch zwar keine besondere Beeinträchtigung erwarten lässt, deren Kenntnis jedoch an ein berechtigtes Interesse des Einsichtnehmenden gebunden ist (Datenschutzklasse B). Darunter fallen auch Lehrveranstaltungsplanung und Seminarplatzvergabe. Die TU stellt für dienstliche elektronische Nachrichten eine PKI (Public Key Infrastruktur) bereit.

Absprachen über Prüfungstermine und Prüfungsinhalte, Prüfungsaufgaben, Empfehlungsschreiben für Stipendien, Bewerbungsunterlagen von Studierenden für Austauschprogramme und/oder Stipendien, Gutachten über Bachelor- und Masterarbeiten, Dokumente die Anstellung von wissenschaftlichen oder studentischen Hilfskräften betreffend — all das wird praktisch ausnahmslos unverschlüsselt verschickt, berichten mir Kollegen aus anderen Universitäten. Es gibt also gute Gründe, Verschlüsselung in den Arbeitsalltag zu integrieren.

Zwischenergebnis nach 5 Wochen

Von den 27 Studierenden, die mich seit Semesteranfang per E-Mail kontaktiert haben, haben zwölf ihre E-Mails teilweise verschlüsselt. Zwei Mitarbeiter konnte ich ebenfalls zum Verschlüsseln motivieren. Auch wenn ich nicht weiß, ob die Studierenden außer mit mir auch mit anderen Personen verschlüsselt kommunzieren, bin ich für den Anfang doch sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Der nächste Hackday am Lehrstuhl wird in eine Art Kryptoparty umfunktioniert, dann werden es hoffentlich noch mehr.

Die häufigsten Probleme, die beim Verschlüsseln auftraten, waren:

  • die Studierenden versäumten es, mir ihre öffentlichen Schlüssel zugänglich zu machen (luden ihre Schlüssel nicht auf Key-Server hoch oder hängten sie nicht an ihre Mail an), so dass ich ihnen nicht verschlüsselt antworten konnte
  • die Studierenden benutzten den falschen Schlüssel zum verschlüsseln (meistens ihren eigenen) ihrer Mails an mich
  • die Studierenden hängten ihren public key als Word-File an

Die häufigsten Ausreden für das Nichtverschlüsseln von Mails:

  • zu kompliziert, ich brauche eine Anleitung
  • ich schreibe die meisten Mails auf meinem Handy und da ist Verschlüsselung nicht praktikabel
  • ich habe nichts zu verbergen

Das Versprechen auf prioritäre Beantwortung verschlüsselter E-Mails ist der Verschlüsselung natürlich nur deshalb förderlich, weil es eine Bedürfnisasymmetrie zwischen den Studierenden und mir hinsichtlich der Durchführung der E-Mail-Kommunikation gibt, die ich ausbeute. Die Studierenden mögen es mir verzeihen, denn für Verschlüsselung gibt es gute Gründe.


Sieben entscheidende Fragen zur Bundestagswahl: Die Kandidatinnen und Kandidaten der Parteien

Posted on 21st September 2013 in Off Topic, Politik

Der Bundeswahlleiter hat einen Datensatz mit den Namen aller Kandidierenden zur Bundestagswahl veröffentlicht. Dies ermöglicht uns einige tiefe Blicke in die Binnenstruktur der Parteien, die bei der Findung unserer Wahlentscheidung hilfreich sein können, denn Sie ermöglichen die Antwort auf folgende wahlentscheidende Fragen:


1. Ist die AfD eine „Professoren-Partei“?
Nein, das ist sie nicht! Bei FDP und CDU ist der Anteil der Professorinnen und Professoren unter den Kandidaten deutlich höher als bei der AfD.

Anteil der Professorinnen und Professoren an den Kandidaten zur Bundestagswahl 2013 nach Parteien

Anteil der Professorinnen und Professoren an den
Kandidaten zur Bundestagswahl 2013 nach Parteien



2. Welche Partei schickt die meisten Promovierten ins Rennen?
Auch im Hinblick auf den Anteil Promovierter kann die AfD keine intellektuelle Führerschaft für sich beanspruchen. Hier hat die CSU die Nase klar vorn. Aber wir wissen ja, dass diese Zahlen sich im Laufe einer Legislaturperiode durchaus verändern können, gerade bei der CSU.

Anteil der Promovierten an den Kandidaten zur Bundestagswahl 2013 nach Parteien

Anteil der Promovierten an den Kandidaten zur Bundestagswahl 2013
nach Parteien

Professorinnen und Proefessoren kandidieren übrigens sehr viel häufiger als ihre Mitbewerber gleichzeitig als Direktkandidaten und via Liste. 70% der kandidierenden Professoren (14) kandidieren doppelt, während es beim Rest der Mandatsbewerber gerade einmal 38% sind. Immerhin noch 57% der Promovierten sind auf doppeltem Ticket Richtung Bundestag unterwegs. Akademische Lorbeeren scheinen sich also auszuzahlen.


3. In welchem Bundesland kandidieren die meisten Promovierten?

Anteil der Promovierten an den Kandidaten zur Bundestagswahl 2013 nach Bundesländern

Anteil der Promovierten an den Kandidaten zur Bundestagswahl 2013
nach Bundesländern

Den höchsten Anteil Promovierter an den Kandidaten findet sich in Schleswig Holstein (13.7%) und Mecklenburg-Vorpommern (12.6%). Im Saarland ist der Anteil an Promovierten am geringsten (0.0%).


4. Wie alt ist der durchschnittliche Kandidat der einzelnen Parteien?
Im Hinblick auf das Alter der Kandidatinnen und Kandidaten ist die Piratenpartei mit Abstand die jüngste. Ihre Kandidaten sind mit 39,5 Jahren im Durchschnitt noch 5 Jahre jünger als die der Grünen.

Durchschnittsalter der Kandidaten zur Bundestagswahl 2013 nach Parteien

Durchschnittsalter der Kandidaten zur Bundestagswahl 2013
nach Parteien

Die im Durchschnitt ältesten Kandidaten haben AfD (50,2) und Linkspartei (49,4).


5. Welche Partei hat den höchsten Anteil junger / alter Kandidaten?
Schaut man sich den Anteil junger Kandidatinnen und Kandidaten noch etwas genauer an, so überrascht der hohe Anteil an unter 45-jährigen Kandidaten bei der CSU. AfD und Linke konkurrieren auch hier um den ersten Platz im Vergreisungsranking.

Altersstruktur der Kandidaten zur Bundestagswahl 2013 nach Parteien

Altersstruktur der Kandidaten zur Bundestagswahl 2013
nach Parteien

Ältester Kandidat ist übrigens Imanuel Regehly, der für die NPD in den Bundestag einmarschieren will. Er ist Jahrgang 1923. Allerdings wird er wohl noch mindestens 4 Jahre auf ein Mandat (und die Alterspräsidentschaft) warten müssen, denn er kandidiert auf der Landesliste Berlin auf dem aussichtslosen 10. Platz einer mehr als überflüssigen Partei.


6. Bei welcher Partei sind die Erfolgschancen für junge / alte Kandidaten besonders groß?
Entscheidend ist freilich die Frage, auf welchen Listenplätzen jüngere bzw. ältere Kandidaten platziert werden. Bei der CDU ist eine eindeutige Tendenz zu beobachten. Über 60-jährige landen deutlich eher auf vorderen Listenplätzen, während sich jüngere Kandidaten (> 45) auf den weniger aussichtsreichen Plätzen finden.

Altersstruktur der Altersstruktur der Kandidaten nach Listenplätzen bei der CDU (Bundestagswahl 2013)

Altersstruktur der Altersstruktur der Kandidaten
nach Listenplätzen bei der CDU (Bundestagswahl 2013)

Trotz des höheren Durchschnittsalters der Kandidaten der SPD haben hier jedoch jüngere Kandidaten größere Chancen auf vordere Listenplätze als bei der CDU.

Altersstruktur der Altersstruktur der Kandidaten nach Listenplätzen bei der SPD (Bundestagswahl 2013)

Altersstruktur der Altersstruktur der Kandidaten
nach Listenplätzen bei der SPD (Bundestagswahl 2013)



7. Wie lauten die häufigsten Vornamen der Kandidatinnen und Kandidaten?
Weibliche Kandidaten heißen häufig Sabine, Barbara, Gabriele oder Claudia.

Die häufigsten weiblichen Vornamen der Kandidatinnen zur Bundestagswahl 2013

Die häufigsten weiblichen Vornamen der Kandidatinnen
zur Bundestagswahl 2013

Männliche Kandidaten heißen Michael, Thomas, Andreas, Peter oder Christian.

Die häufigsten männlichen Vornamen der Kandidaten zur Bundestagswahl 2013

Die häufigsten männlichen Vornamen der Kandidaten
zur Bundestagswahl 2013

Dabei zeigen sich allerdings einige Tendenzen: Männer mit den Namen Alexander, Christian, Peter oder Stefan finden sich signifikant häufig bei der CSU, Kandidaten mit den Namen Andreas, Jürgen oder Sebastian finden sich eher bei den Piraten, Daniel, Jörg kandidieren eher für die FDP, Dirk für die SPD und Jürgen für die Grünen. Peter und Thomas sind typische Namen für Kandidaten der CDU, Thomas könnte aber auch für die Linke kandidieren, ebenso wie Wolfgang.


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Sommerschule: Digitization and its Impact on Society

Posted on 15th Mai 2013 in Digitale Revolution, Off Topic

An der TU Dresden organisiere ich zusammen mit vielen KollegInnen eine Sommerschule. Über Bewerbungen von Interessierten freue ich mich.

Call for Papers / Travel grants
International summer school „Digitization and its Impact on Society“
Technische Universität Dresden
September 29 – October 5, 2013


The digital revolution is altering the present in many ways not all of which have been sufficiently addressed by research. There are three core aspects to this change:

  1. The digitization of our world: More and more information is being converted into a digital format or is already being produced in this numerical form.
  2. Parallel to the emergence of ‚Big Data‘, digitization allows data from different sources to be combined and analyzed together: The representation of different types of information in a numerical model enables the analysis and combination of this information through the use of algorithms. This, in turn, is the basis for
  3. the growing emancipation of data from the purpose for which they were produced: Digitization allows any kind of query to the data possible in a mathematical model. The result is the user’s freedom from the archive’s structures, coupled with a certain loss of control over one’s own data.

Initiated by the traditional computer-based sciences, the process of digitization also affects Social Sciences and the Humanities. Although each discipline has already developed its own questions and approaches in Digital Humanities, a broader, interdisciplinary discussion about the new technologies’ impact on society is still missing.

The summer school’s aim is to initiate this interdisciplinary discussion. The following disciplines will be included (Please note that the summer school is basically open to all disciplines)


Language, Literature and Cultural Studies

Digitization enables a fresh look at archives (Data-driven History) and poses questions on permanent forms of storage and how digitizing historical collections affects cultural memory. Moreover, digitization also challenges the notions of authenticity and cultural situatedness that are commonly associated with both the everyday and the aesthetic use of language.


Business and Economics

The low costs involved with the trade of digital goods have created new challenges. Markets are no longer dominated by producers of goods, but by providers of infrastructure and platform operators. Digital piracy has become a major economic obstacle in developing new digital products.


Law

Digitization raises fundamental questions with regard to the allocation of rights to information and with regard to the access to information. It is a major challenge to secure an adequate balance between exclusive intellectual property rights on the one hand, and freedom of information on the other. The second focus of the legal perspective lies on the implications for the legal protection of the private sphere. Due to changes of the media landscape, the process of digitization requires to re-examine the equilibrium between data protection and personality rights vis-à-vis the fundamental right to freedom of speech.


Sociology and Political Science

Digital communication calls for the redefining or even the elimination of terms such as ‚private‘ and ‚public‘. Furthermore, digitization creates new possibilities for political participation and draws attention to the cross-cutting issue of network policy.


Communication and Media Science

The exchange of information through the digitization of sound, image and text has led to a radical change of the public sphere. Due to the technical structure of the digital networks anybody can become a sender. As a result, the resource of public attention and the quality of information become central foci for research.


Education

The digitization of learning content and learning environments (virtual classroom) is bringing us closer to the ideal of free and equal access to educational resources. At the same time it is causing changes to teaching methods, assessment and evaluation (based on learning analytics) and even to scientific publishing (e.g. Science-Blog).


The summer school’s key topics include (but are not limited to) the following:

  • Digital archive and cultural memory
  • Online communities of practice and their symbolic forms (e.g. cyber language)
  • Economics of online platforms and platform neutrality
  • Copyright and freedom of information in the digital age
  • Social networks and ubiquitous media / Change of the public sphere
  • Liquid democracy vs. post-democracy
  • Potentials of digitizing university research and teaching

TU Dresden offers travel grants for up to 20 post-docs and PhD students from all nations. The grants will cover travel and accommodation. Preference will be given to interdisciplinary topics.

Applications:

Please apply with your CV and your abstract (max. 400 words) for a 20-minute presentation on your current research by June 15, 2013 at

http://linguistik.zih.tu-dresden.de/application/


Organization:

Dresden Center for Digital Linguistics, Noah Bubenhofer, Joachim Scharloth, Yvonne Krämer


Scientific Committee:

Noah Bubenhofer, Thomas Bürger, Wolfgang Donsbach, Horst-Peter Götting, Lutz Hagen, Thomas Köhler, Holger Kuße, Claudia Lange, Anne Lauber-Rönsberg, Joachim Scharloth, Eric Schoop, Marcel Thum


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Utopie vom Ende des Plagiats

Posted on 10th Februar 2013 in Digitale Revolution, Off Topic

Das Plagiat ist wie der Schimmel auf der Käserinde. Man könnte die Rinde wegschneiden und den Käse essen, wenn er denn gut ist. Aber der Ekel und die Vermutung, der Schimmel habe den ganzen Käse verdorben, lässt ihn uns wegwerfen. In der Wissenschaft manifestieren sich Plagiate in fehlenden Fußnoten oder Anführungszeichen. Die Fußnote hätte auf einen früheren Text verweisen sollen, in dem der Gedanke, den sich die vorliegende Studie zu eigen macht, in den gleichen oder anderen Worten, schon einmal oder gar zum ersten mal formuliert ist. Aber auch hier gibt es Grenzen: Natürlich muss man nicht auf die „Kritik der reinen Vernunft“ verweisen, wenn man das Wort „Transzendentalphilosophie“ benutzt. Die Fachkollegen würden schmunzeln.

Die meisten Plagiate in den Kultur- und Sozialwissenschaften (das ist meine Erfahrung mit studentischen Hausarbeiten) treten in jenen Teilen der Arbeit auf, in denen Forschungsgeschichte referiert, Konzepte spezifiziert und Theorien dargestellt werden. Dann wird mangels gründlicher Rezeption der relevanten Texte aus allerlei Sekundärquellen eine auf Kohärenz zielende Darstellung zusammenkomponiert. Und weil es peinlich wäre, die mangelnde Lektüre zuzugeben und „zitiert nach“ zu schreiben, und zu gewagt, die Paraphrase der Sekundärquelle noch einmal durch eine eigene Paraphrase wiederzugeben, tut man so, als habe man das Werk selbst gelesen oder übernimmt wörtlich aus einer Sekundärquelle und lässt den Nachweis weg. Kein Zweifel: Leser und Leserin werden so auf inakzeptable Weise getäuscht.

Wer die Lektüre wichtiger Quellen und Sekundärquellen nur vortäuscht, so könnte man meinen, kann auch keine gute Arbeit schreiben. Stimmt aber leider nicht. Freilich, die guten Studierenden sind klug genug, nicht zu plagiieren. Dennoch erweisen sich bisweilen auch gut oder gar sehr gute Arbeiten als Plagiatsfälle. Die Betreffenden hatten die Theorien, die sie plagiierend referierten, auch ohne vertiefte Lektüre der relevanten Texte verstanden. Und sie waren in der Lage, darauf aufbauend eigenständig zu forschen und neue Erkenntnisse zu generieren. Der Schimmel ist „nur“ auf der Käserinde, den Käse selbst könnten wir eigentlich essen, wenn da nicht unser Ekel wäre.

Bei der Diskussion um Plagiate tritt häufig in den Hintergrund, dass es die eigenständige Denkleistung der Forschenden ist, der Erkenntnissgewinn im Verhältnis zu anderen Arbeiten, der die eigentliche wissenschaftliche Leistung ausmacht. Dennoch ist die Täuschung, vor allem dann, wenn sie gehäuft und systematisch erfolgt, inakzeptabel.

Die utopische Lösung ist, die Täuschung abzuschaffen und mit ihr die Flüchtigkeit, die Ungenauigkeit, die handwerklichen Fehler und was sonst alles noch als Ausrede dafür herhalten muss, wenn Fußnote oder Anführungszeichen fehlen. Die Lösung wäre es, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Zitieren und Verweisen zu entlasten. Sie müssten es nicht mehr selber tun dürfen, sondern die Verantwortung an eine Software abgeben müssen. Eine Software, die in einem fertigen Text vor der Publikation alle intertextuellen Bezüge annotieren würde. Die Software müsste besser sein, als die momentan verfügbare Plagiatssoftware, denn sie müsste über die sprachliche Oberfläche hinaus Konzepte und Argumentationsmuster identifizieren und mit einander in Beziehung setzen können. Das ist zurzeit leider utopisch. Und sie müsste sich auf das Gesamtarchiv aller (wissenschaftsaffinen) Texte stützen können. Auch das ist angesichts des geltenden Urheberrechts leider utopisch. Der Zitationsgraph, dessen Granularität man je nach Erkenntnisinteresse regulieren könnte, wäre wissenschaftshistorisch hochinteressant. Und wenn eine Arbeit nur aus Zitaten früherer Werke zusammengestoppelt wäre ohne den Funken einer eigenen Erkenntnis, dann würde sie auch keinen interessieren. Der Käse wäre ungenießbar, aber nicht wegen des Schimmels auf der Rinde.

Leider werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aber auch weiterhin einen gewichtigen Teil ihrer Ressourcen in die Pflege von Literaturdatenbanken und Fußnotenapparaten investieren, Plagiatsjäger ihre Freizeit in das Auffinden für Indizien von Täuschungsabsichten und Fakultäten viel Geld in Lizenzen für Plagiatssoftware.


Wittgenstein im Web 2.0

Posted on 2nd Februar 2013 in Digitale Revolution, Off Topic

Das Internet hat uns alle zu potentiellen Sendern gemacht. War die Öffentlichkeit früher durch die Gatekeeperfunktion der Massenmedien geprägt, so steht der Zugang zu den publizistischen Produktionsmitteln im Web 2.0 jedermann offen. Der angenehme Effekt, von dem auch ich als Wissenschaftler hier und da beglückt wurde: Einstmals angesehene Autoritäten verlieren ihre Deutungsmacht und kommen in die unangenehme Situation, sich argumentativ rechtfertigen zu müssen — vor den Interessierten und Engagierten, aber auch vor den digitalen Spießern.

Wie ergeht es aber jenen, die sich nicht mehr rechtfertigen können, weil sie etwa schon tot sind? Wie ergeht es beispielsweise dem von mir sehr verehrten Ludwig Wittgenstein im Web 2.0? Auf goodreads.com können Rezensionen zu Büchern hinterlassen werden und auch Wittgenstein wird fleißig und schonungslos besprochen. Solche Rezensionen sind dann von besonderem Wert, wenn sie quer zur bisherigen Forschungsmeinung stehen und Aspekte am Werk betonen, die bislang noch kaum in den Blick gerückt sind, wie etwa in der folgenden Rezension der Philosophischen Untersuchungen von meinem Kollegen Prof X:

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Als besonderer Kenner von Wittgensteins Werk erweist sich auch Autor JB. In einer differenzierten Würdigung des Tractatus logico-philosophicus übertrifft er die aphoristische Kraft des rezensierten Werks um Längen:

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Doch JB kann es noch besser: In einer weiteren Rezension verbindet er auf engstem Raum eine von tiefer Textkenntnis zeugende Einordnung der Philosophischen Untersuchungen in das Gesamtwerk Wittgensteins mit an der historisch-kritischen Methode geschulten Anmerkungen zur Textgestalt, kombiniert dies mit einer biographischen Deutung des Gesamtwerks und verpackt seine Kritik in eine in seiner Tiefgründigkeit nur schwer zu fassende Anspielung auf einen absoluten Höhepunkt der Weltliteratur:

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Die Konzepte der Autorität und Deutungsmacht relektiert Rezensent Josh in einem anspielungsreichen, den rezensierten Tractatus an intellektueller Schärfe bei weitem übertreffenden, Aphorismus:

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Kommen wir zu einem anderen Klassiker, über den besonders viele weibliche Mitglieder der Netzgemeinde Tiefsinniges ins Eingabeformular getippt haben: Friedrich Nietzsche. Auch hier möchte ich einige der kenntnisreichsten und erkenntnisfördernsten Texte zu Also sprach Zarathustra vorstellen.

Rezensentin Susan vollbringt das intellektuelle Kunststück, Namensschreibung und Deutung des Gesamtwerks überzeugend in eine sinnhafte Beziehung miteinander zu setzen:

nietzsche_zarathustra_spelling

Neu war mir, dass die Plagiatsjäger auch bei Nietzsche fündig geworden sind:

nietzsche_zarathustra_plagiat

Als überaus produktiv erweist sich auch die Lektüre des Werks aus der Perspektive der gender studies, aus der Gloria Suzie zentrale Fragen an Text und Autorfunktion heranträgt:

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Und Autorin Devon dekonstruiert Nietzsche aus einer cis-weiblichen Position:

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Getreu dem Aphorismus „‚Erkenne dich selbst‘, ist die ganze Wissenschaft“ deutet Rezensentin Gini den Text im Sinne der performativen Dimension der Lektüre auf die Leserin, also sich selbst:

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Auch die Autorität eines weiteren Stars der Philosophie bleibt von kritischen Reflexionen im user generated content nicht unangetastet: Immanuel Kant.

Während einige Kants Hauptwerk Kritik der reinen Vernunft differenziert argumentierend aus grundsätzlichen Erwägungen rundweg ablehnen…

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… stellen andere die Bedeutung des Königsberger Philosophen nicht in Frage, kritisieren ihn jedoch wegen mangelnder Lebhaftigkeit in der Darstellung …

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… und dem zugegebenermaßen chaotischen und unsystematischen Aufbau seines Werks:

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Andere hingegen betonen ganz im Gegensatz zur relativen Körperferne der Transzendentalphilosophie die Materialität des Textes und die Möglichkeit seiner Einschreibung in den eigenen Leib — ein im etablierten philosophischen Diskurs bislang völlig unbeachteter Zugang zu Kants Werk:

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Auch an subtilem Humor fehlt es den Rezensentinnen nicht, die in den feinen Verästerlungen der Sprache ironisch verpackte Kritik anklingen lassen:

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Der letzte Theoretiker, dessen kritische Würdigung im Web 2.0 hier vogestellt werden soll, ist John Langshaw Austin und dessen einflussreiches Hauptwerk How to Do Things with Words. Ein Werk, das schon bei der ersten Sichtung zu begeisterten Kommentaren führt:

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Doch ein eingehendes Studium des Textes lässt auch die kritikwürdigen Aspekte hervortreten. Bean verortet Austin etwa in innovativer Weise im puristischen Diskurs.

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Andere Rezensenten bemängeln trotz Anerkennung des durch Austin geleisteten Erkenntnisfortschritts den mangelnden Anwendungsbezug:

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Kritisch wird das Scheitern der Austinschen Anleitung zum Wortgebrauch auch im Hinblick auf Sprechakte reflektiert, die an Unbelebtes gerichtet werden; eine Dimension, die der Meister in seinem Werk völlig außer Betracht ließ:

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Hannah Arendt schreibt in „Macht und Gewalt“: „Autorität bedarf zu ihrer Erhaltung und Sicherung des Respekts entweder vor der Person oder dem Amt. Ihr gefährlichster Gegner ist nicht Feindschaft sondern Verachtung, und was sie am sichersten unterminiert, ist das Lachen.“ Ich danke dem Web 2.0 für die Öffnung vieler diskursiver Räume und wünsche mir mehr von dem Humor, der in anderen Teilen des Webs immer wieder aufscheint auch in seinem deutschsprachigen Teil.


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Anleitung zur sprachlichen Radikalisierung

Posted on 6th Januar 2013 in Off Topic

Sie wollen die Revolution? Ein bisschen die Welt retten? Oder Sie möchten einfach nur erfolgreich trollen, provozieren, spalten? Achten Sie auf Ihre Sprache! Denn sie ist das beste Mittel, die Wirklichkeit so zu konstruieren, dass nur Ihr Denken als vernünftig und gerecht und nur Ihr Handeln als schlüssig und integer erscheint, das Ihrer Gegner hingegen als falsch, unmoralisch, korrupt oder von mangelnder Awareness geprägt.

Machen Sie sich zunächst mit folgenden Aspekten der Bedeutung vertraut, um möglichst virtuos auf der Klaviatur der sprachlichen Wirklichkeitskonstruktionen spielen zu können:

  • deskriptiver Bedeutungsaspekt: inhaltliche Merkmale, die an einem Sachverhalt durch die Bezeichnung hervorgehoben werden
  • deontischer Bedeutungsaspekt: die Bewertung die die Verwendung eines Ausdrucks transportiert und ihre normative Dimension
  • konnotativer Bedeutungsaspekt: Assoziationen und Emotionen, die mit der Verwendung eines Ausdrucks verbunden sind
  • Referenzobjekt(e): mit dem Ausdruck bezeichnete Gegenstände oder Sachverhalte

Folgen Sie bei der Wahl ihrer Wörter den vier goldenen Regeln:


1. Verengen Sie die deskriptiven Bedeutungsaspekte durch die Wahl Ihrer Bezeichnung auf einen Bereich, der möglichst negativ besetzt ist und ein hohes Skandalisierungspotenzial hat. Spechen Sie von der BRD als einer „Parteiendiktatur“ oder sagen Sie, dass wir in einer „Rape Society“ leben. Oder nennen Sie Personen, die sich für eine Gleichstellung der Geschlechter einsetzen, „Femnazis“. Bedenken Sie aber, dass nicht immer das böseste Wort auch das wirkungsvollste ist, denn es könnte auf Sie zurückfallen.
Welche Bezeichnung wäre wohl für den 29C3 die beste?

  1. „Sexistencongress“
  2. „Kongress für heterosexuelle weiße Männer“
  3. „Burschentag“

Die Antwort ist b., denn mit dieser Bezeichnung transportieren Sie Sexismus- und Rassismusvorwurf, ohne selbst allzu aggressiv zu wirken; „weiß“, „heterosexuell“ und „Mann“ sind ja für die Mehrheit der Menschen erstmal keine bösen Wörter.


2. Wenn Sie etwas kritisieren wollen, erweitern Sie den Bedeutungsumfang eines negativ konnotierten Begriffs so weit, dass der in Ihren Augen kritikwürdige Sachverhalt unter diesen Begriff subsummiert werden kann. Achten Sie darauf, dass die konnotativen und deontischen Bedeutungsaspekte dadurch nicht verwässert werden. Sprechen Sie von „Vergewaltigungskultur“ und sagen Sie Sätze wie: „Ich kann es nicht leiden, wenn mir jemand so intenisv in die Augen guck[t], da fühle ich mich vergewaltigt.“


3. Wenn Wörter nicht in dem Sinn verwendet werden, der Ihren Anliegen entspricht, referieren Sie auf ihre „eigentliche“ oder „ursprüngliche“ Bedeutung, die immer gültig ist. Kritisieren Sie jede Verwendung, in der die Bedeutung von der „eigentlichen“ Bedeutung abweicht, als fehlerhaft, politisch motiviert oder unethisch. Ein hervorragendes Beispiel liefert Ihnen Sprachwissenschaftler A.S., der während seines Talks auf dem 29C3 sagte:
„Student“ bedeutet: „Mann, der studiert“ und nichts anderes. Es bedeutet in jedem Kontext „ein Mann, der studiert“.
Lehnen Sie wie A.S. das Konzept der Gebrauchsnorm ab. Erklären Sie einfach, dass es falsch ist, wenn die Massenmedien „Student“ im Sinn von „Person, die studiert“ verwenden und spekulieren Sie über strukturellen Sexismus. Werfen Sie alle Vorurteile gegenüber dem Analogismus, Präskriptivismus und Purismus über Bord: Die Bedeutung liegt für Sie in den Worten selbst oder in den Strukturen der Sprache, nicht aber in ihrem Gebrauch.


4. Verwenden Sie normative Begriffe mit dem Anspruch, ausnahmslos alle Referenzobjekte mit Ihrer Bezeichnung zu erfassen. Damit schließen Sie nämlich all jene traditionell unter die Bezeichnung gefassten Referenzobjekte aus, die den normativen Ansprüchen nicht entsprechen. Dadurch eröffnen Sie sich völlig neuartige Handlungsoptionen. Reservieren Sie die Bezeichnung „Mensch“ beispielsweise ausschließlich für jene, die sich nicht zu Knechten der von Ihnen verhassten Ordnung gemacht haben, und nennen Sie alle anderen „Typen“ oder „Schweine“. Nun können Sie Sätze sagen wie:
„Wir sagen natürlich, die Bullen sind Schweine. Wir sagen, der Typ in Uniform ist ein Schwein, kein Mensch. Und so haben wir uns mit ihnen auseinanderzusetzen. Das heißt, wir haben nicht mit ihm zu reden, und es ist falsch, überhaupt mit diesen Leuten zu reden. Und natürlich kann geschossen werden. Denn wir haben nicht das Problem, daß das Menschen sind, insofern es ihre Funktion ist beziehungsweise ihre Arbeit ist, die Verbrechen des Systems zu schützen, die Kriminalität des Systems zu verteidigen und zu repräsentieren. Und wenn wir es mit ihnen zu tun haben, dann sind das eben Verbrecher, dann sind das eben Schweine, und das ist eine ganz klare Front.“


Sie haben die höchste Stufe der sprachlichen Radikalisierung erreicht. So werden Sie jeden Shitstorm mit einem Achselzucken über sich ergehen lassen, nach jedem Twitterwar als Sieger oder Siegerin vom Feld schreiten. Sie werden für viele Tweets sorgen und häufig retweetet werden. Sie haben erfolgreich getrollt, nachhaltig gespaltet oder die Welt gerettet! Herzlichen Glückwunsch!

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Rederepublik Deutschland: Sind die Online-Medien schuld?

Posted on 14th September 2012 in Linguistische Kategorien, Off Topic, Wortschatz

Sprache konstruiert Wirklichkeit. Dies gilt auch für die Sprache, wie sie in der Politik verwendet wird, vielleicht sogar in besonderem Maße. Denn Politikerinnen und Politiker benutzen die wirklichkeitskonstruierende Kraft der Sprache bewusst für ihre politische Agenda. Ob man vom „Betreuungsgeld“ (Regierung) oder der „Herdprämie“ (Opposition), von der „Kopfpauschale“ (SPD, Grüne, Linke) oder dem „solidarischen Bürgergeld“ (CDU/CSU) spricht, jeweils wird der Gegenstand, über den man spricht, in anderer Weise konstruiert und bewertet. Ich würde sogar soweit gehen, zu sagen, dass es nicht einmal mehr derselbe Gegenstand ist, den man von unterschiedlichen Perspektiven durch das Medium der Sprache erfasst, sondern dass durch die unterschiedlichen Bezeichnungen unterschiedliche Gegenstände konstruiert werden. Was Politiker sagen und wie sie es tun, ist also durchaus von Bedeutung für das Verständnis politischer Prozesse.

Auch bei unseren Leitmedien scheint sich diese Erkenntnis durchgesetzt zu haben. In allen Gazetten schreiben Journalistinnen und Journalisten darüber, was Menschen darüber sagen, was andere, mutmaßlich noch wichtigere, Menschen geäußert haben. War das schon immer so? Oder ist das eine Folge des Online-Journalismus mit seiner auf Aktualität getrimmten Kultur, in der jede Äußerung schon eine Meldung wert ist, ohne in größere Nachrichtenzusammenhänge eingebettet zu werden?

Um diese Frage zu beantworten, habe ich mir die Entwicklung der Frequenz von rund 240 Sprachhandlungs- und Kommunikationsverben in drei Textarchiven angeschaut: dem Printarchiv von Spiegel und ZEIT (1947 bis 2010) und dem Archiv von Spiegel Online (2000 bis 2010). Für jeden Artikel habe ich die Frequenz von Kommunikationsverben relativ zur Anzahl der Wörter berechnet, anschließend habe ich den Durchschnitt über alle Artikel eines Jahres gebildet.

Die folgende Abbildung zeigt, dass die Zunahme des Gebrauchs von Kommunikationsverben kein neues Phänomen ist. Schon seit den 1970er Jahren steigt ihr Gebrauch allmählich an. Parallel zu den Anfängen des Online-Journalismus in den 1990er Jahren verstärkt sich jedoch dieser Anstieg. Anders als vermutet, ist die Frequenz bei Spiegel Online auf den ersten Blick nicht dramatisch höher als bei den Print-Medien. (Lesehilfe: Eine relative Frequenz von 0.02 bedeutet, dass jedes 50. Wort ein Kommunikationsverb ist.)





Die Aggregierung der Daten aus allen Ressorts gibt jedoch nur einen recht groben Eindruck. Die ressortspezifische Verteilung von Kommunikationsverben, insbesondere in den Ressorts, die zum Kerngeschäft des Qualitätsjournalismus gehören, erlaubt eine differenziertere Antwort auf die eingangs gestellte Frage. Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung der relativen Frequenzen in den Ressorts Deutschland (Spiegel Print), Politik Deutschland (Spiegel Online) und Politik (ZEIT Print; die ZEIT differenziert in ihrer Ressortzuschreibung leider nicht zwischen Innen- und Außenpolitik, weshalb ihre Zahlen nur bedingt mit denen des Spiegel vergleichbar sind).





Es zeigt sich auch hier, dass die Zunahme des Schreibens über das, was andere in der politischen Arena gesagt oder geschrieben haben, kein neues Phänomen ist. Doch ist der Unterschied im Gebrauch von Kommunikationsverben zwischen Print- und Online-Medien hier sehr groß. Interessanterweise ist bei Spiegel Online kein Anstieg der Frequenz zu beobachten. Dies bestätigt sich auch beim Blick auf das Ressort Außenpolitik (für die ZEIT hier wieder die Werte aus dem Ressort Politik).





Auch hier verharren die Zahlen bei SPON auf hohem Niveau, die Printmedien nähern sich dem Online-Medium an. Am stärksten hat die relative Frequenz von Kommunikationsverben jedoch in einem anderen Ressort zugenommen: im Ressort Wirtschaft. Auch hier überlagern offenbar zunehmend Berichte über Gesagtes die Berichterstattung zu messbaren Zusammenhängen, bzw. wird die Präsentation von Fakten an deren Verkündigung gekoppelt.





Man müsste das genauer untersuchen, aber als vorläufiges Fazit lässt sich ziehen: Die Personalisierung von Informationen und die Wiedergabe von Aussagen und Meinungen ist eine immer stärkere werdende Tendenz, die durch die Logik der Online-Medien nicht verursacht, aber verstärkt wurde.

Natürlich sind auch Kommunikationsverben dem Wandel der Moden unterworfen. Im gedruckten Spiegel habe ich mal durchgerechnet, welche Kommunikationsverben für die jeweiligen Jahrzehnte typisch sind (alle signifikant, geordnet nach Frequenzfaktor):



2000er: telefonieren, nerven, mitbekommen, prognostizieren, nachfragen, sagen, mitverfolgen, wetten, lachen, bereuen, mitlesen, reden, nachdenken, kapieren, weinen, bewerten, beten, verklagen, streiten, kritisieren, meckern


1990er: petzen, telefonieren, nerven, kapieren, prognostizieren, mitverfolgen, heucheln, maulen, verfluchen, klagen, meckern, ahnen, drohen, beteuern, warnen, jammern, spekulieren, streiten, beschreiben, bereuen, hetzen, suggerieren


1980er: kritteln, mitverfolgen, denunzieren, anprangern, meinen, petzen, differenzieren, beklagen, bejahen, verhehlen, ermutigen, akzeptieren, beschreiben, nachdenken, bemitleiden, postulieren, bedauern, wiederholen, unterstellen, beteuern


1970er: kritteln, postulieren, bejahen, differenzieren, negieren, geloben, erhoffen, konstatieren, prophezeien, beurteilen, empfehlen, verwahren, verneinen, ermuntern, mitlesen, scheuen, voraussehen, monieren, widerlegen, schildern, vermuten, bezweifeln, denunzieren, diskutieren


1960er: gedenken, befehlen, bejahen, gestatten, bemitleiden, konstatieren, verwahren, verneinen, ermahnen, verhehlen, verbitten, bitten, verabscheuen, widerlegen, antworten, bedauern, empfehlen, geloben, bedenken, ermuntern, unterstellen, feststellen, verraten


1950er: gestatten, gedenken, feststellen, vorschlagen, verneinen, ablehnen, kommentieren, antworten, tippen, befehlen, schreiben, bitten, bedauern, bekennen, verabscheuen, verhehlen, beweisen, versichern, beleidigen, bejahen, nachweisen, verbitten


1940er: tippen, singen, betonen, schreiben, sprechen, verbieten, befehlen, bedauern, gratulieren, antworten, feststellen, nennen, gedenken, schreien, staunen, verklagen, lachen, verurteilen, verabscheuen, ablehnen, wetten, verzeihen, verwahren, kommentieren, bereuen, bekennen


Zuletzt noch ein Schmankerl: Weil alle immer auf das Panorama-Ressort von SPON eindreschen, zum Schluss noch ein Vergleich zwischen den Panorama-Ressorts von Spiegel Online und Spiegel Print („Panorama“ bis 1986, ab 1987 Ressort „Gesellschaft“).






So schlimm ist es also gar nicht mit dem Online-Journalismus. Dazu demnächst mehr auf diesem Blog.