Ist die AfD eine populistische Partei? – Eine Analyse am Beispiel des Landesverbands Rheinland-Pfalz

Posted on 13th März 2016 in Allgemein, Extremismus, Politik

Die AfD wehrt sich heftig gegen die Zuschreibung, rechtspopulistisch zu sein. Sie sucht die Schuld dann bei den Medien, die zu bequem seien, sich mit den Inhalten auseinanderzusetzen, und scheut auch nicht vor persönlichen Diffamierungen von Wissenschaftlern zurück, die Inhalte und Politikstil der AfD als „populistisch“ bezeichnen. Für eine Tagung der Arbeitsgemeinschaft Sprache in der Politik habe ich die Sprache der AfD daraufhin untersucht, ob sich in ihr Merkmale finden, die es rechtfertigen, die AfD als populistische Partei zu bezeichnen oder ob die Zuschreibungen der Presse unbegründet sind.

In der politikwissenschaftlichen Debatte lassen sich grob zwei Traditionslinien der Definition von „Populismus“ ausmachen:

  1. Populismus ist ein Politikstil, der sich durch die Neigung, die „in einem politischen System festgelegten Spielregeln in Frage zu stellen und zu verletzen“ (Szacki 2005: 23) auszeichnet. Tabubrüche und Skandalisierung sind die Mittel dieses Stils.
  2. Populismus ist auch eine Ideologie, die durch mindestens zwei Merkmale bestimmt ist: den Rekurs auf das Volk, wobei der Begriff „Volk“ nicht im Sinne eines Staatsvolkes gebraucht sondern als homogene Einheit verstanden wird (bspw. als nationale Abstammungsgemeinschaft); sowie eine ausgeprägte Frontstellung gegen die gesellschaftlichen Eliten (Geden 2006: 19, 26).



Datengrundlage

Die Datengrundlage für die im folgenden kurz zusammengefassten Ergebnisse, waren die Pressemitteilungen und Wahlprogramme von sieben Parteien, die sich um Mandate im Landtag in Rheinland-Pfalz bewerben.

Das Korpus der Wahlprogramme setzte sich wie folgt zusammen:

Partei wordcount
AFD Wahlprogramm 9863
CDU Regierungsprogramm 28322
FDP Landtagswahlprogramm 36163
Grüne Landtagswahlprogramm 44582
Die Linke Landtagswahlprogramm 21523
NPD „10 Punkte“ 1727
SPD Regierungsprogramm 21746


Neben Wahlprogrammen habe ich auch die auf den Webseiten der Parteien veröffentlichten Pressemitteilungen und Stellungnahmen analysiert, die als autorisierte Meinungsäußerungen ebenfalls die Haltung des jeweiligen Landesverbands zu einem politischen Thema repräsentieren.

Partei wordcount no. of texts
AfD Rheinland-Pfalz 57964 237
CDU Rheinland-Pfalz 74283 261
FDP Rheinland-Pfalz 27648 73
Gruene Rheinland-Pfalz 241876 914
Die Linke Rheinland-Pfalz 154179 509
NPD Rheinland-Pfalz 63894 174
SPD Rheinland-Pfalz 22221 93



Skandalisierung

Um zu untersuchen, ob der Politikstil der AfD mehr als der anderer Parteien von Skandalisierungen geprägt ist, habe ich die Distribution einer Reihe von Merkmalen in den Pressemitteilungen aller Parteien gemessen und mit einander in Beziehung gesetzt. Im Einzelnen waren dies:

  • die Zahl negativ wertender Adjektive
  • die Zahl von Intensivierern aus dem absoluten, extrem hohen und sehr hohen Intensivierungsbereich; Intensivierer kodieren Emotionen und den Grad von Überzeugungen, bzw. der Rigorosität, mit der sie vertreten werden.
  • der Umfang des Gebrauchs skandalisierender Vokablen
  • die Zahl von Kommunikationsverben, die auf Konflikte verweisen

Für jede dieser funktional und semantisch definierten Wortklassen wurde die relative Frequenz in jedem Korpus berechnet und die Differenz zur relativen Häufigkeit in der Summe aller anderen Korpora bestimmt.


Die Analyse zeigt, dass bei der AfD alle untersuchten Indikatoren deutlich überdurchschnittlich häufiger auftreten als in der Summe der anderen Parteien. Keine andere Partei zeigt auf allen Indikatoren so gleichmäßige positive Ausprägungen. Dies erlaubt den Schluss, dass die Pressemitteilungen der AfD stärker emotionalisieren und skandalisieren als die aller anderen Parteien.



Rekurs auf das Volk

Die AfD in Rheinland-Pfalz vertritt — anders als andere Landesverbände — keine offen völkische Ideologie. Die Konstruktion einer deutschen Eigengruppe erfolgt durch die im Vergleich zu anderen Parteien überdurchschnittliche Thematisierung der Politikfelder Flüchtlinge, Asyl und Migration. Berechnet man beispielsweise, welche Substantive für die AfD RLP im Vergleich zu allen anderen Parteien signifikant sind, werden die thematischen Schwerpunkte deutlich (rot markierte Lexeme):


Die AfD tritt zudem für mehr plebiszitäre Elemente ein. Dies zeigt sich beispielsweise, wenn man die Komposita mit den lexikalischen Morphem /volk/ und /bürger/ in ihrem Wahlprogrammen untersucht. Abgesehen von „Volkswirtschaft“ thematisieren alle Komposita mit /volk/ größere Partizipationsmöglichkeiten der deutschen Staatsbürger.

Volksbeteiligung, Volksentscheid, Volkspartei, Volksbegehren, Volksherrschaft, Volksinitiative, Volksabstimmung, Volkssouveränität, Volkswirtschaft

Ähnlich sieht es bei Komposita mit dem lexikalischen Morphem /bürger/ aus:

Bürgergesellschaft, Mitbürger, Bürgerinteresse, Bürgerentscheid, Bürgertum, Bürgerbüro, Bürgerbeteiligung, Staatsbürgerschaft, bürgerlich, Bürgerbegehren, Normalbürger

Im Wahlprogramm der CDU finden sich dagegen gerade einmal drei Komposita, die mehr Beteiligung der Bürger thematisieren:

volkswirtschaftlich, Volksentscheid, Volksverhetzung, Volksinitiative, Bürgerschaft, Bürgerkrieg, Bürgerinitiative, Bürgerin, Bürgerbusse, Nicht-EU-Bürger, bürgerschaftlich, Bürgertickets, Staatsbürgerschaft, bürgernah, Bürgerbeteiligung, Bürgermeister

Die AfD erklärt damit den Volkswillen für zentral und konstruiert das „Volk“ in Abgrenzung zu Asylsuchenden und Migranten.



Frontstellung gegen das „Establishment“

Die Ablehnung des Establishment hat in der AfD zahlreiche Facetten. Einerseits unterstellt die Partei, Medien, Politik und sonstige Eliten hätten einen Verblendungszusammenhang konstruiert. Die AfD hingegen trete der allgegenwärtige Manipulation mit den Mitteln der Wahrheit und der Vernunft entgegen. Untersucht man, wie häufig Lexeme in den Pressemitteilungen Verwendung finden, die auf Lüge, Manipulation und einen allgegenwärtigen Verblendungszusammenhang verweisen, dann ergibt sich folgendes Bild:


In fast allen Kategorien weist die AfD eine deutlich überdurchschnittliche Referenz auf vermeintliche Manipulationen, Lügen oder verborgene Wahrheiten auf. Bei keiner anderen Partei — außer vielleicht der NPD — ist die Distribution über alle Klassen ähnlich kohärent und verweist somit auf eine Neigung zu Verschwörungstheorien.

Ebenso aufschlussreich ist die Analyse von metasprachlich markierten Ausdrücken. Setzt man Wörter in Anführungszeichen oder distanziert man sich von einer Bezeichnung, indem man ein „sogenannt“ davorsetzt, ist dies ein Indikator für implizite bzw. explizite Sprachkritik. Untersucht man, wie häufig alle Parteien sich solcher metasprachlicher Markierungen bedienen, ergibt sich folgendes Bild:

afd_rlp_sprachthematisierungen

Die AfD bedient sich weitaus häufiger als die anderen Parteien des demokratischen Spektrums metasprachlicher Markierungen und zeigt so ihre Distanz zur herrschenden Semantik. Sie weist eine ähnlich hohe Zahl an metasprachlichen Markierungen wie die NPD auf.

Untersucht man, welche Ausdrücke von der AfD metasprachlich markiert werden, wird die Distanz zum sog. Establishment deutlich. Neben Ausdrücken, die Migration thematisieren, sind dies von der AfD zu bloßer Ideologie verteufelte Wissenschaften sowie Wissenschaftler und sonstige Experten.

Flüchtlinge und Flüchtlingspolitik Gender, Diversity Experten und Akademiker
Flüchtling Gender-Mainstreaming Experte
Grenzschutz Gender Studies neue Akademiker
vorübergehend soziales Geschlecht akademisches Prekariat
Euro-Islam geschlechtergerechte Sprache Wissenschaftler
Asyl-Zuwanderung-über-alles Political Correctness Rechtsextremismusexperte
Völkerwanderung Gleichstellungsbeauftragte Elite
Parallelgesellschaften Gender Mainstreaming Diplom-Sozialwissenschaftler


Sucht man in den Pressmitteilungen der AfD nach Komposita mit dem lexikalischen Morphem /partei/, so findet man folgende Bezeichnungen für andere Parteien:

Parteienherrschaft, Altpartei, Alt-Partei, Kaderpartei, Blockparteienmanier, Altparteienpolitiker

Die Bezeichnung „Altpartei“ in allen Varianten ist dabei absolut dominant. Dass diese Bezeichnung von Joseph Goebbels und anderen Vertretern der NSDAP gerne benutzt wurde, scheint die AfD nicht weiter zu stören. Als Eigenbezeichnung verwendet die AfD gerne Komposita wie:

Volkspartei, Rechtsstaatspartei, Weckruf-Partei, Konfliktpartei, Mitmachpartei, Anti-Europartei, Oppositionspartei

Die Tatsache, dass die AfD den Rest des Parteiensystems pauschal als überkommene Institution abwertet, zeigt, wie sehr sie sich mit ihrer Rhetorik in traditionelle populistische Anti-Eliten-Diskurse einschreibt.



Zusammenfassung

Die Ergebnisse zur Rhetorik der AfD im Landtagswahlkampf in Rheinland-Pfalz lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  1. Populismus als Politikstil: Die AfD skandalisiert wie keine andere Partei bei fast allen Indikatoren (negativ wertende Adjektive, Intensivierer, skandalisierende Wortschatz)
  2. Zentralität des Volkswillens: „Bürger“ und „Volk“ als zentrale Begriffe; Volksabstimmung, Homogenisierung des Volks anhand der Flüchtlingsthematik
  3. Ablehnung des Establishments: pauschale Kritik an anderen Parteien („Altparteien“), Kritik an akademische Eliten (insbesondere Sozialwissenschaften), Distanzierung von der herrschenden Semantik und von „politischer Korrektheit“, Konstruktion eines Manipulationszusammenhangs

Die Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass der Landesverband der AfD in Rheinland-Pfalz mit einer populistische Kampagne um Wähler wirbt.



Literatur

  • Geden, Oliver (2006): Diskursstrategien im Rechtspopulismus. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
  • Szacki, Jerzy (2005): Populismus und Demokratie. Versuch einer Begriffsklärung. In: Rudolf vonThaden / Anna Hofmann (Hrsg.): Populismus in Europa – Krise der Demokratie? Göttingen: Wallstein Verlag. S. 19-24.


Rechtsextremismus und die Mitte der Gesellschaft: Kulturalismus, Populismus und Skandalisierung

Liebe Freunde der Sicherheit,

vom Landesamt für Verfassungsschutz in Sachsen wurde ich eingeladen, auf einer Tagung einen Vortrag zum Thema „Rechtsextremismus und die Mitte Gesellschaft“ aus sprachwissenschaftlicher Sicht zu halten. Weil ich das Thema relevant finde, habe ich zugesagt. Im Folgenden findet ihr die Analysen, die ich für diesen Vortrag durchgeführt habe.


Grundannahmen

Sprache konstruiert Wirklichkeit. Je nach dem, ob wir einen Gegenstand als „Herdprämie“ oder „Erziehungsgeld“ bezeichnen, heben wir unterschiedliche Aspekte an ihm hervor (Erziehung vs. Frauenpolitik), wecken spezifische Assoziationen (Anerkennung bislang nicht honorierter Leistungen vs. traditionelle Geschlechterrollen), verbinden unterschiedliche Handlungsaufforderungen mit ihm (Zustimmung vs. Ablehnung) und konstruieren ihn so auf je unterschiedliche Weise. Derjenige Akteur, der seinen Sprachgebrauch zur Norm erheben kann, dessen Handeln erscheint als konsistent und legitim. Sprachliche Wirklichkeitskonstruktionen erfolgen jedoch nicht über das Prägen von Bezeichnungen alleine, sondern auch im Kontext von längeren Aussagen und Aussagezusammenhängen.



Beispiel: Kollokationen zum Lemma „Ausländer“ in rechtsextremen Foren (Ausschnitt)



Eine Möglichkeit, die spezifischen Wirklichkeitskonstruktionen zu messen ist die Kollokationsanalyse, also die Analyse, welche Wörter überzufällig häufig miteinander auftreten. Wenn beispielsweise „Nerd“ häufig mit „Außenseiter“, „IQ“, „sozial“ und „gestört“ auftritt, dann verrät dies etwas darüber, wie die kulturelle Entität „Nerd“ konstruiert wird.


Vorgehensweise

Ich habe aus zwei rechtsextremen Internet-Diskussionsforen (Forum Deutscher Netzdienst, ein zwischen 2003 und 2009 von der NPD betriebenes Forum) und dem neonazistischen Thiazi-Forum (2007-2012) ein Korpus mit rund 500 personenspezifischen Teilkorpora erstellt. Das Korpus umfasst rund 25 Millionen Wörter. In diesem Korpus habe ich typische Wortverbindungen berechnet. Nun ist natürlich nicht jede Wortverbindung in diesem Korpus gleich ein Indikator für rechtsextreme Gesinnungen: Nazis schlagen nicht nur Fenster, sondern auch Wege ein und die Verbindung von „Weg“ und „einschlagen“ findet sich in Texten „der Mitte“ genauso wie bei Rechtsextremen. Um ein Kriterium für die Ideologizität der Kollokationen zu haben, habe ich mich dafür entschieden, nur solche als Indikatoren für Rechtsextremismus anzusehen, in denen NPD-Schlagwörter vorkommen. NPD-Schlagwörter habe ich identifiziert, indem ich Pressemitteilungen der NPD mit Pressemitteilungen von CDU und SPD verglichen habe.



Typische Lemmata in den Pressemitteilungen der NPD
im Vergleich zu den Pressemitteilungen von CDU und SPD (Auswahl)



Um beantworten zu können, in welchen Bereichen „die Mitte“ offen ist für rechtsextremes Gedankengut, brauchte ich ein Vergleichskorpus. Weil das Konzept der „Mitte“ nicht klar bestimmbar ist, ist meine Wahl auf ein Online-Diskussionsforum gefallen, das plural im Hinblick auf die dort vertretenen politischen Ansichten ist: politikforum.net. Auch hier habe ich ein Korpus aus 577 personenspezifischen Teilkorpora gebildet, das rund 27 Millionen Wörter umfasst. Das ist zwar nicht Big Data, aber schon recht aussagekräftig (zum Vergleich: Der Zauberberg hat rund 300.000 Wörter). Auch für dieses Korpus habe ich Kollokationen berechnet.



Kollokationen zum Lemma „Sozialsystem“ im Vergleich: NPD-Forum vs. politikforen.net
(Schlagwörter der NPD in zwartem rosa)



Offenheit für rechtsextremes Gedankengut habe ich dann darüber berechnet, wie hoch der Anteil von Kollokatoren ist, die beim gleichen Lemma auch bei der NPD Kollokatoren sind, und wie hoch der Anteil von NPD-Schlagwörtern unter den Kollokatoren ist. Schließlich habe ich die Wörter auf der Basis der Kohärenz der in ihnen vorkommenden Kollokationen thematisch gruppiert und als Graphen visualisiert.


Ergebnisse

In welchen Bereichen gibt es also teilweise Übereinstimmungen in den Denkweisen von Rechtsextremisten und der „Mitte der Gesellschaft“? Zunächst einmal finden sich ein paar übliche Verdächtige: Bei den Themen Ausländer / Migration, Islam und Kriminalität konvergiert der Sprachgebrauch in politikforen.net stark mit dem Sprachgebrauch im NPD-Forum.

Das Thema Ausländer / Migration nimmt von den Schnittmengenthemen den größten Raum ein und wird konstituiert durch die Lemmata Abschiebung, Assimilation, südländisch, Gastrecht, ausweisen, integriert, Ausweisung, Ausländer, Migrationshintergrund, Herkunft, nichtdeutsch, Ethnie, Angehörige, Leitkultur, überschwemmen, Zugehörigkeit, Nichtdeutsche, Bande, geboren, ausnutzen, abschieben, Abstammung, nicht-deutsch, ausländisch, Überfremdung, Multikulti, Migration, Migrant, strömen, Heimat, Identität, ertappt, Minderheit, Integration, Elternteil, Asylant, begrenzen, Investor, aussehend, Sozialhilfeempfänger, Sitte, einwandern, kürzen, Rasse, Urbevölkerung, Masseneinwanderung, Rückkehr, Zuzug, Südland und Mentalität sowie durch die Bezeichnungen für einzelne ethnische Gruppen.

Die typischen Verwendungsweisen des Lemmas „Gastrecht“ in politikforen.net illustriert die Nähe zu rechtsextremem Gedankengut.



Kollokationsgraph zum Lemma „Gastrecht“ in politikforen.net. Braune Knoten
markieren Schlagwörter der NPD, braune Kanten verweisen darauf,
dass die Wortverbindung auch in rechtsextremen Diskussionsforen auftritt.



Das Thema Kriminalität ist nach dem Thema Ausländer / Mirgation das am breitesten diskutierte Thema und wird konstituiert durch die Lemmata straffällig, kriminell, Gewalttat, Kriminelle, gewalttätig, Delikt, Gewalttäter, Straftat, Straftäter, Kriminalitätsrate, Tatverdächtige, Täter, lebenslang, abstechen, gewaltbereit, Bewährung, abschreckend, Kriminalität, Bestrafung, bestrafen, begangen, liegend, Todesstrafe, Statistik, Verbrecher, wegsperren und Mord. Im Folgenden ein Ausschnitt aus dem Kollokationsgraph zum Lemma „kriminell“ in politikforen.net.



Kollokationsgraph zum Lemma „kriminell“ in politikforen.net (Ausschnitt).
Braune Knoten markieren Schlagwörter der NPD, braune Kanten verweisen darauf,
dass die Wortverbindung auch in rechtsextremen Diskussionsforen auftritt.



Ein bemerkenswerter Teilbereich mit großer Konvergenz sind Sexualverbrechen, insbesondere Kindesmissbrauch.



Kollokationsgraph zum Lemma „Vergewaltiger“ in politikforen.net (Ausschnitt).
Braune Knoten markieren Schlagwörter der NPD, braune Kanten verweisen darauf,
dass die Wortverbindung auch in rechtsextremen Diskussionsforen auftritt.



Die Themenfelder Ausländer / Migration und Kriminalität werden in politikforen.net ebenso wie in den rechtsextremen Foren häufig miteinander verschränkt, wie der Kollokationsgraph zu „nichtdeutsch“ illustriert.



Kollokationsgraph zum Lemma „nichtdeutsch“ in politikforen.net (Ausschnitt).
Braune Knoten markieren Schlagwörter der NPD, braune Kanten verweisen darauf,
dass die Wortverbindung auch in rechtsextremen Diskussionsforen auftritt.



Basis für die Themen Ausländerfeindlichkeit in Verbindung mit Kriminalität und Islamophobie / antimuslimischem Rassismus ist eine Ideologie, die ich als Kulturalismus bezeichnen möchte. In ihr werden Menschen als durch ihre Kultur determinierte Wesen konzeptualisiert und kulturelle Unterschiede als unveränderbar und damit unüberwindlich angesehen. Sichtbar wird Kulturalismus im Kollokationsgraphen zum Lemma „Kultur“:



Kollokationsgraph zum Lemma „Kultur“ in politikforen.net (Ausschnitt).
Braune Knoten markieren Schlagwörter der NPD, braune Kanten verweisen darauf,
dass die Wortverbindung auch in rechtsextremen Diskussionsforen auftritt.



„Kultur“ wird als eine an ein Volk gebundene, von Vermischung bedrohte Lebensweise konzeptualisiert, zu der als Prädikat „grundverschieden“ hinzutreten kann. Der Kulturbegriff hat auch im akademischen Diskurs die Funktion, Homogenität zu konstruieren. Auch in den Diskussionsforen ist die Homogenitätsideologie Bestandteil des Kulturalismus:



Kollokationsgraph zum Lemma „homogen“ in politikforen.net (Ausschnitt).
Braune Knoten markieren Schlagwörter der NPD, braune Kanten verweisen darauf,
dass die Wortverbindung auch in rechtsextremen Diskussionsforen auftritt.



Neben den Wörtern „Kultur“ und „homogen“ sind es die folgenden Lemmata, die das Feld des Kulturalismus abstecken und in der rechtsextremer Sprachgebrauch mit dem Sprachgebrauch in politikforum.net konvergiert: Abstammung, Volk, Multikulti, Kulturkreis, Heimat, Identität, Minderheit, bewahren, Sitte, zugehörig, Rasse, Lebensweise, aufgeben, Urbevölkerung, vermischen und Mentalität. Eine genauere Analyse würde zeigen, dass der Kulturalismus die Bedingung für die diskriminierenden Konstruktionen in den Themenfeldern Ausländer / Migration, Kriminalität und Islam ist.

Einher mit dem Kulturalismus geht in rechtsextremen wie pluralistischen Diskussionsforen die Legitimierung von Etabliertenvorrechten. Einheimische genießen Vorrechte gegenüber Zugezogenen, Völker leben in ihrer angestammten Heimat:



Kollokationsgraph zum Lemma „angestammt“ in politikforen.net (Ausschnitt).
Braune Knoten markieren Schlagwörter der NPD, braune Kanten verweisen darauf,
dass die Wortverbindung auch in rechtsextremen Diskussionsforen auftritt.



Eine weitere semantische Grundfigur, die rechtsextremes Denken in „der Mitte“ der Gesellschaft anschlussfähig macht, ist die argumentative Inanspruchnahme der (schweigenden) Mehrheit der Gesellschaft.



Kollokationsgraph zum Lemma „Mehrheit“ in politikforen.net (Ausschnitt).
Braune Knoten markieren Schlagwörter der NPD, braune Kanten verweisen darauf,
dass die Wortverbindung auch in rechtsextremen Diskussionsforen auftritt.



Zusammen mit einer pauschalen Kritik an der politischen Klasse („korrupt“ und „unfähig“) sind die typischen Ingredienzien des Populismus versammelt.



Kollokationsgraph zum Lemma „Politiker“ in politikforen.net (Ausschnitt).
Braune Knoten markieren Schlagwörter der NPD, braune Kanten verweisen darauf,
dass die Wortverbindung auch in rechtsextremen Diskussionsforen auftritt.



Eine letzte semantische Grundfigur, die die Debatten in rechtsextremen wie pluralistischen Foren verbindet, ist die Tendenz zur Skandalisierung, die in beinahe allen genannten Themenbereichen präsent ist.



Kollokationsgraph zum Lemma „asozial“ in politikforen.net (Ausschnitt).
Braune Knoten markieren Schlagwörter der NPD, braune Kanten verweisen darauf,
dass die Wortverbindung auch in rechtsextremen Diskussionsforen auftritt.



Ich konnte hier nicht alle Bereiche und schon gar nicht in der gewünschten Ausführlichkeit vorstellen. Auch erinneringspolitische Themen wie die Wehrmacht und die Vertreibung aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten, aber auch Sozialpolitisches, antikapitalistisch angehauchte Bankenkritik und die Einschränkung von Grundrechten sind Themen, in denen sich rechtsextreme Positionen mit Mittepositionen berühren. Funfact am Rande: auch die Ansichten über den Verfassungsschutz konvergieren in extremistischen und pluralistischen Diskussionsforen.



Themenfelder und semantische Grundfiguren, die eine hohe Kongruenz
mit rechtsextremen Diskursen aufweisen.



Die obige Grafik ist der Versuch, Themenfelder und semantische Grundfiguren zu ordnen.

Neben den erwartbaren Ergebnissen, dass Ausländerfeindlichkeit, Politikverdrossenheit und Kriminalität Türen sind, durch die rechtsextreme Positionen in weiteren Teilen der Gesellschaft eindringen können, zeigt die Analyse, dass auch semantische Grundfiguren des Populismus, der Skandalisierung und vor allem des Kulturalismus der Nährboden für das Gedeihen rechtsextremen Gedankengutes in „der Mitte der Gesellschaft“ sein können.


Themenerkennung durch Kompositaanalyse

Posted on 17th März 2012 in ideology mapping, Linguistische Kategorien

Liebe Freunde der Sicherheit,

heute wollen wir uns eine sprachliche Kategorie ansehen, die zusammen mit anderen einen Beitrag zur Ideologieerkennung leisten kann: Komposita. Die deutsche Sprache ermöglicht es ihren Sprecherinnen und Sprechern ja bekanntermaßen, Wörter aus mehreren Bestandteilen (sog. Morphemen) zusammenzusetzen. Aus dem Nomen „König“ und dem Suffix „lich“ wird zum Beispiel „königlich“. Ein Wort wie „Königstiger“ besteht aus dem lexikalischen Morphem /könig/, einem sog. Fugenelement /s/ und dem lexikalischen Morphem /tiger/. Im ersten Fall, wo ein neues Wort mit Hilfe eines Affix gebildet wird, spricht man von Derviation. Wird ein Wort aus zwei oder mehr lexikalischen Morphemen (also Morphemen, die auch alleine stehen können) zusammengesetzt, dann sprechen Linguistinnen und Linguisten von Komposition.

Die Komposition ist im Deutschen ein sehr wichtiges Wortbildungsmittel, wichtiger als in vielen anderen Sprachen. So können mit Hilfe der Komposition sogar ad hoc Sachverhalte mit neuen Wörtern bezeichnet werden, wenn sich die Bedeutung aus den einzelnen Gliedern erschließen lässt. Denken wir an das schöne Kompositum „Selbstverteidigungsminister“.

Interessant wird es aber wie immer erst dann, wenn man sich Komposita in größeren Mengen anschaut. Denn wenn über ein Thema intensiv gesprochen und geschrieben wird, dann steigt nicht nur die Frequenz des themenspezifischen Wortschatzes, sondern es steigt auch die Anzahl der verwendeten Komposita, die mit Hilfe dieses Wortschatzes gebildet werden können. Augenscheinlich wird dies am Beispiel des lexikalischen Morphems /terror/, dessen Distribution in der ZEIT (print) ich visualisiert habe.


Komposita mit dem lexikalischen Morphem /terror/ in der ZEIT (print) 1995-2011


Man sieht, dass mit dem Jahr 2001 die Frequenz des Lemmas „Terror“ zwar ansteigt, die Verwendung von Komposita (token), die /terror/ enthalten, jedoch noch viel stärker zunimmt. Gleichzeit steigt auch die Anzahl der Komposita (types), die überhaupt verwendet werden. Der themenspezifische Wortschatz differenziert sich mittels Komposition also aus und wird zudem häufiger verwendet. Komposita scheinen also ein guter Themenindikator zu sein, vielleicht sogar ein besserer als Schlagworte.

Wenn man das, was hier am Beispiel von /terror/ illustriert wurde, für den gesamten Wortschatz in einem Korpus macht, erhält man natürlich ein sehr viel aussagekräftigeres Bild. Ich will dies anhand einer Analyse eines rechtsextremen Nachrichtenportals anschaulich machen. Es handelt es sich dabei um den inzwischen sowohl online als auch offline eingestellten sog. „Rundbrief an Freunde und Förderer der volkssozialistischen Bewegung“ mit dem Titel „Der Fahnenträger“. Von diesem Elaborat enthält das Untersuchungskorpus 222 Texte mit zusammen 566.905 laufenden Wortformen.

Um die Aussagekraft der Ergebnisse zu erhöhen, wurde berechnet, welche lexikalischen Morpheme im „Fahnenträger“ signifikant häufiger zur Bildung von Komposita benutzt wurden als in der gedruckten ZEIT der letzten 17 Jahre. Das Ergebnis habe mit den 90 signifikantesten lexikalischen Morphemen habe ich in einer Wortwolke visualisiert:


Der Fahnenträger

DemokratwirtschaftlichirischrevolutionierenMilitärneoliberalpolitischEigentumGewaltLohnarbeitenantiUnionistKundgebungAutonomieDKPimperialBDMimperialistischIreRasseAgrarzentralistischmarxistischPSIGewerkschaftMarxistKAPDKlasseFaschismusRegierungWiderKampfPolitikstaatlichkapitalHerrschaftregierenMachtImperialImperialismusISAFFAUArditiEuzkadiScheringerVWNsozialRUCBDOADGBKapitalSchlageterArbeitOrganisationNiekischBaskeFaschistFrontLinksfaschistischreaktionärNRWirtschaftGSRNNationalerevolutionärBahamasSFMASNKFDFéinBRDParteikapitalistischFiumeAntifaflämischStaatSozialistKPDETAKapitalistnationalNSVolkFlameIRAsozialistischStrasser

Das Ergebnis ist auf den ersten Blick verwirrend: Es finden sich auffällig viele Komposita mit den Akronymen radikaler, extremistischer und terroristischer Organisationen der Linken wie der Rechten, lexikalische Morpheme aus dem Kontext der (marxisitschen) Kapitalismuskritik („neoliberal“, „Lohn“, „Eigentum“, „Klasse“, „Imperialismus“, „reaktionär“, „kapital“ etc.), zugleich aber auch lexikalische Morpheme, die auf nationalistisch-völkische Ideologie verweisen („Volk“, „national“, „Flame“, „flämisch“, „faschistisch“, „Strasser“). Dies entsprach freilich der politischen Selbstverortung der Macher. Sie sahen sich „jenseits des ‚rechten Mainstreams'“ und orientierten sich, laut Endstation Rechts „an Bestandteilen des Rätekommunismus, des Syndikalismus und der ‚Dritten Welle‘ des Weimarer Nationalbolschewismus.“ Dies erklärt auch die häufigen Komposita mit dem Namen Gregor Strassers.

Die Kompositaanalyse scheint also ein durchaus adäquates Abbild des Themenspektrums des „Fahnenträgers“ zu liefern. Dass die Welt auch eine schönere Seite hat, zeigt der komplementäre Blick auf die für die ZEIT typischen lexikalischen Morpheme, aus denen die meisten Komposita bestehen.


DIE ZEIT

MotorEuroberatenSommerBühnePartyFahrtsparenKundeInselTischHerstellerhohÖkoMaschineFarbeEisliebPlatzWerbungSzeneMarkesuperWaldMannManagerTypGartenModellGerätFanModeNachtGeschäftPlatteBaumNetzSchiffRaumSportTierKlangFußballFirmaTraumRomanFernsehStückZimmerSchuleLichtInternetKünstlerRadBandDorfKarteForscherTechnikWeinTestHotelStraßeTourFußProjektTonfahrenHolzLiebeBahnAutoWerkReisReiseTheaterFamilieKunstFilmMusikHausBuchfliegenBildKindforschenStadtFlugBallSpiel


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Von Black Panther zu Pink Panther? — Zur Ikonographie des Terrors

Posted on 17th November 2011 in Extremismus, Terrorismus

Liebe Freunde der Sicherheit,

Die Presse rätselt, warum sich die Terroristen, die sich als Nationalsozialistischer Untergrund bezeichnen, ausgerechnet Paulchen Panther zu ihrem Maskottchen wählten. Bernd Wagner von Exit Deutschland gibt sich im Stern-Interview ratlos, der Zürcher Tagesanzeiger rätselt und klärt darüber auf, dass der rosarote Panther nicht im kriminellen Milieu wurzelt.
Und in der BILD-Zeitung darf Professor Dr. Hajo Funke, Politikwissenschaftler vom Otto-Suhr-Institut in Berlin, erklären: „Das muss kein Zeichen für die Öffentlichkeit sein: In der Nazi-Szene gibt es auch eine innere Propaganda. Möglicherweise hatten Paulchen-Witze in dieser Gruppe einen Kultstatus für Insider.“

Eine Blick in die Geschichte der Terror-Ikonographie legt jedoch eine andere Interpretation nahe: Der Panther wurde beispielsweise von der Black Panther Party, einer sich als revolutionär verstehenden militanten Gruppe innerhalb der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, benutzt.



Logo der Black Panther Party

Logo der Black Panther Party



Er zierte auch den ersten programmatischen Text der RAF „Die Rote Armee aufbauen“ in der Zeitschrift agit 883.



Titelei des Textes "Die Rote Armee aufbauen" aus agit883, Nr. 62 vom 05.06.1970

Titelei des Textes "Die Rote Armee aufbauen" aus agit883, Nr. 62 vom 05.06.1970



Und sogar Feminstinnen bedienten sich des Panthers zur Artikulation ihrer Bereitschaft zur Militanz.



"Die Militanten Pantertanten:" zweite Hälfte 1969



Der Panther steht also für revolutionäre Gewalt. Dass sich die Terroristen der NSU nicht wie die RAF mit der Black Panther-Bewegung identifizierten ist evident. Der schwarze Panther, in dessen Farbe und geschmeidiger Kraft sich die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung wiedererkennen sollte, passt nicht zu ihren rassistischen Anliegen.



Aus agit883 Nr. 64 vom 25.6.1970



Was liegt für eine Neonazigruppe, deren Ideologie auf rassischem Denken beruht, näher, als statt eines schwarzen Panthers einen rosaroten Panther zum Logo zu wählen, um einen ikonographischen Kontrapunkt zu setzen? Und hätte der Chef der NPD in Zwickau, der Paulchen Panther als Alias bei Facebook benutzte, wirklich auch Fix und Foxi wählen können, wie er SPIEGEL Online sagte?



Screenshot aus dem Bekennervideo des NSU