Rezension zu: Drommel, Der Code des Bösen

Liebe Freunde der Sicherheit,

das Ende der Anonymität wird überall ausgerufen: getarnt als Zeitgeistphänomen „Post-privacy“ von den Spacken der datenschutzkritischen Spackeria, von Google+ und Facebook, die sich weniger Cybermobbing und Trolling verprechen, wenn alle im Internet mit Klarnamen auftreten, und nicht zuletzt im Namen der Demokratie von unserem geschätzten Internet-Experten und Innenminister Hans-Peter Friedrich. Solche Überlegungen könnten sich schon bald als überflüssig erweisen, dann nämlich, wenn es gelänge, alle Internetbewohner anhand ihres individuellen Schreibstils zu identifizieren. Dass dies bald der Fall sein könnte, das verspricht uns ein Buch, das kürzlich beim Wilhelm Heyne Verlag erschienen ist und den Titel „Der Code des Bösen. Die spektakulären Fälle des Sprachprofilers“ trägt.

Sein Autor ist Raimund H. Drommel, der verdienstvolle Begründer der akademisch fundierten forensischen Linguistik in Deutschland. Mit seinem Buch liefert er einen Rückblick auf die spektakulärsten seiner „mehr als 1000“ Fälle und „über 300 Gerichtsgutachten“. Und was uns Freunde der Sicherheit freut und hoffnungsfroh in die Zukunft schauen lässt: Drommel „lag immer richtig“ (8).

Die sprachtheoretische Annahmen, die Drommels Arbeit zugrunde liegt, lässt sich anhand eines Vergleichs erläutern. Er schreibt:

„Was kaum jemand weiß: Jeder Mensch bedient sich einer ganz eigenen Sprache; sie ist beinah so unverwechselbar wie unsere DNS. Liegen adäquate Sprachproben vor, kann sie fast ebenso wie diese zweifelsfrei zugeordnet werden. Wir hinterlassen linguistische Spuren, wenn wir etwas sagen oder schreiben.“ (17)

Vom Vergleichsgegenstand DNS überträgt Drommel damit die folgenden Eigenschaften auf den Sprachgebrauch:

  1. Einmaligkeit: der Sprachgebrauch eines Menschen ist so einmalig, dass er seine Identifizierung ermöglicht; Sprachgebrauch ist verräterisch
  2. Unbewusstheit: wir gebrauchen die Sprache (oder zumindest die verräterischen Teile von ihr) unbewusst
  3. Unveränderbarkeit: man kann seinen Sprachgebrauch nicht willkürlich ändern
  4. Wissenschaftliche Erschließbarkeit: um die „sprachliche DNS“ zu entschlüsseln, braucht man wissenschaftliche Methoden; sie ist nicht jedem Intellekt zugänglich

Drommel, früher Professor an der Universität zu Köln, ist ein gestandener Sprachwissenschaftler und weiß natürlich, dass der Vergleich in vielerlei Hinsicht hinkt und sprachtheoretisch nicht haltbar ist. Die Rede von der sprachlichen DNS und – an anderer Stelle – von einem sprachlichen Fingerabdruck (21f) oder einem individuellen Sprachprogramm (40) in jedem Menschen sind Versuche, sprachwissenschaftliche Zusammenhänge durch Anschluss an das Alltagswissen verständlicher zu machen. So setzt sich Drommel selbst kritisch mit Ausdrücken wie „sprachlicher Fingerabdruck“ auseinander, die gerne von sprachwissenschaftlich unbefleckten Sicherheitsinformatikern benutzt werden, um mehr Forschungsgeld einzustreichen.

Cover des Buchs "Der Code des Bösen"

Cover des Buchs "Der Code des Bösen"

Trotz dieser kritischen Selbstreflexionen sind die Gutachten, die Drommel mit seinen Methoden erstellt, vor Gericht als Beweismittel anerkannt. Drommel war Gutachter für den Generalbundesanwalt und hat entscheidend dazu beigetragen, den geheimen Code der RAF zu entschlüsseln. Darüber durfte er jedoch im vorliegenden Buch nichts schreiben. Dennoch lesen sich die einzelnen Kapitel wie eine kleine Geschichte jener Ereignisse, die die Bundesrepublik (und die Schweiz und Österreich) seit den 1980er Jahren bewegten: Entführungen reicher Unternehmer, fingierte Selbstmorde von am Waffenhandel beteiligten Rechtsanwälten, Vorwürfe sexueller Nötigung gegen Medienschaffende, aber auch handfeste politische Skandale wie die niedersächsischen Spielbankaffäre, die Lotto-Affäre in Hessen oder der Tod Uwe Barschels und die Verwicklungen der Kieler CDU-Spitze in die Machenschaften gegen Engholm. In allen Fällen spielten Texte aus der Feder von Opfer oder Täter eine gewichtige Rolle. Und Drommel weiß spannend und detailreich über die Fälle zu erzählen. Allerdings, und es schmerzt mich als Linguisten, das zugeben zu müssen: Die Spannung ergibt sich meist aus dem breiteren kriminalistischen oder zeithistorischen Kontext, weniger aus der Schilderung der sprachlichen Analysen, von denen man den Eindruck gewinnt, dass sie sehr mühsam sein müssen.

Drommel unterscheidet grundsätzlich zwei Fallkonstellationen:

  1. Der Täter ist unbekannt, mit Hilfe einer sprachlichen Analyse soll aber etwas über seine soziale Herkunft in Erfahrung gebracht werden, um so den Kreis möglicher Täter einzugrenzen. Diese Tätigkeit nennt Drommel Sprachprofiling.
  2. Es gibt einen engen Kreis Tatverdächtiger und anhand der vorliegenden sprachlichen Daten soll entschieden werden, wer der Verdächtigen mit größter Wahrscheinlichkeit der Urheber eines Textes ist, der im Kontext eines Verbrechens entstanden ist. Bei dieser Tätigkeit würde ich von Autorenidentifikation sprechen.

Häufig folgen die beiden Fallkonstellationen freileich auf einander, d.h. dass mit Hilfe des Profiling und anderer kriminalistischer Mittel der Täterkreis so weit eingeschränkt wird, dass im Anschluss eine Autorenidentifikation möglich ist.

Wenn Drommel Texte analysiert, dann tut er dies auf allen Ebenen: auf der Ebene des Textkörpers (optische Gestaltung wie Absätze, Überschriften etc.), der grammatischen Formen und Partikeln, des Satzbaus, des Wortgebrauchs und auch auf der Ebene allgemeinerer stilistischer Merkmale, die die Satzebene überschreiten. Wichtige Indizien sind natürlich sprachliche Fehler.

Insbesondere auf der Ebene der Partikeln und der Lemmata benutzt er computergestützte Verfahren, von denen er die „computerbasierte Konkordanzanalyse“ als wichtigstes bezeichnet. Dabei „werden die zu analysierenden Texte in ein spezielles Programm eingelesen und Wort für Wort, Satz für Satz miteinander verglichen.“ (55) Auf diese Weise zeigen sich dem geübten Auge die Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen Texten. Konkordanzen zeigen das jeweilige sprachliche Phänomen in allen sprachlichen Kontexten, in denen sie auftreten. Den Vergleich der Gebrauchsweisen und die Bewertung scheint Drommel selbst ‚von Hand‘ vorzunehmen. Es handelt sich also um eine Mischung aus maschinellem und qualitativem Verfahren. Dies mag solange funktionieren, wie der Umfang der Texte noch einigermaßen überschaubar ist. Für größere Textmengen wäre eine Automatisierung des Abgleichs und eine Quantifizierung der Ergebnisse mittels Signifikanztests sicher die effizientere und womöglich auch die gerichtsfestere Art des Vorgehens. Es verwundert auch, dass Drommel trotz seiner großen Verdienste um die Standardisierung der forensischen Linguistik und seine Bemühungen um die Objektivierung seiner Ergebnisse nicht auf Verfahren maschinellen Lernens setzt, die in der informatischen Autorenidentifikation inzwischen Standard geworden sind.

Insgesamt liegt mit „Dem Code des Bösen“ ein Buch vor, das das Potenzial von Sprachprofiling und Autorenidentifikation einem breiteren Publikum vorstellt. Es gewährt uns Einblick in die Arbeitsweise eines erfahrenen Gutachters, der mit viel kriminalistischer Akribie, aber auch wissenschaftlicher Begeisterung und großem persönlichem Engagement bei der Sache ist.


Bibliographische Angabe:

Drommel, Raimund H. (2011): Der Code des Bösen. Die spektakulären Fälle des Sprachprofilers. München: Wilhelm Heyne Verlag.