Peer Steinbrücks Lieblingsphrasen

Posted on 8th Juli 2013 in Fachsprachen, n-Gramme, Politik

Politik ist Kommunikation. Und nicht nur das: Damit Politiker mit ihrer Deutung der Wirklichkeit möglichst viele Wähler und Wählerinnen erreichen, müssen sie in leichter Variation immer wieder das Gleiche sagen. Der politische Sprachschatz stellt eine große Reihe sprachliche Matritzen bereit, in die (vermeintlich) öffentlichkeitstauglich unterschiedlichste Inhalte verpackt werden können. Wir haben 87 Reden von Peer Steinbrück auf sprachliche Ready-mades untersucht, auf Versatzstücke, die der Kanzlerkandidat der SPD immer wieder verwendet.
Die folgende Tabelle zeigt die Distribution jener Phrasen, derer sich Kanzlerkandidat Peer Steinbrück in seinen Reden am häufigsten bedient. Für die Analyse wurden die Reden in fünf gleich lange Teile gesplittet und die Phrasen jeweils jenem Teil zugeordnet, in dem sie am häufigsten auftraten. Die blauen Balken zeigen die normalisierte relative Frequenz des Auftretens einer Phrase im jeweiligen Redeteil.



Leider scheint das Wahlkampfteam von Peer Steinbrück nicht viel von Open Data zu halten. Auf der Kampagnenwebsite findet sich nur eine kleine Auswahl all jener Reden, die der Kanzlerkandidat Woche für Woche hält.


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Geschichte der computergestützten Autorenerkennung am Beispiel der Texte der „militanten gruppe“

Liebe Freunde der Sicherheit,

Die Verfahren, die bei der maschinellen Autorenidentifizierung zum Einsatz kommen, wurden im Verlauf der Geschichte immer mächtiger, analog zur Entwicklung der Rechenleistung von Computern. Die computergestützte Autorenerkennung kann grob in drei Phasen eingeteilt werden.

1. Die Suche nach globalen Konstanten
Ausgehend von der Annahme, dass dem Stil eines Autors etwas Invariantes eignen müsse, waren die ersten Versuche, Autorschaft aufgrund sprachlicher Merkmale zuzuschreiben, von der Suche nach einem Maß geprägt, das die stilistische Einmaligkeit in einem einzigen Wert ausdrückt. Ich habe an anderer Stelle (hier und hier) einige Werte zur Wortschatzkomplexität vorgestellt und getestet, die in der Forschung als Repräsentanten von Ideolekten verstanden wurden.

2. Autorenidentifizierung mittels multivariater Statistik
Während die Klassifikation mittels einer autorspezifischen Konstanten ein univariates Verfahren ist, wurde ab den 1960er Jahren damit begonnen, mehrere Merkmale von Texten zur Identifizierung von Autorschaft heranzuziehen. Das grundlegende Verfahren dabei ist, einzelne Dokumente als Punkte in einem mehrdimensionalen Raum aufzufassen. Der wahrscheinliche Autor eines in Frage stehenden Textes ist dann jener, dessen Texte die größte Nähe zum Punkt des anonymen Textes im multidimensionalen Raum haben.

3. Klassifikation mittels maschinellen Lernens
Bei der Autorenidentifikation wird seit den 1990er Jahren mit überwachtem maschinellen Lernen gearbeitet. Ziel des maschinellen Lernens ist es, einen Klassifikator zu finden, der ein Set an Texten möglichst gut in Klassen einteilt, um danach zu prüfen, welcher Klasse der Klassifikator den anonymen Text zuordnen würde. Hierfür werden Merkmale von Trainingstexten, also von Texten, von denen die Autoren bekannt sind, als numerische Vektoren abgebildet. Mit Methoden maschinellen Lernens sucht man dann im Vektorraum nach Klassengrenzen, die eine Klassifikation mit möglichst wenigen Fehlern ermöglicht.

Im Folgenden möchte ich die verschiedenen Verfahren anhand diverser linguistischer Merkmale illustrieren, vor allem mit dem Ziel, einen kritischen Blick darauf zu ermöglichen, was eigentlich gemessen wird, wenn Autorenidentifikation betrieben wird. Zur Illustration wähle ich einen fünf Jahre zurückliegenden Fall, bei dem das BKA linguistisches Profiling betrieb.


Der „Fall“

Am 31. Juli 2007 brannten in Brandenburg / Havel mehrere Fahrzeuge der Bundeswehr. Drei mutmaßliche Täter wurden bei der Ausführung des Brandanschlags verhaftet. Am 1. August 2007 stürmte ein Sondereinsatzkommando auch die Wohnung des Soziologen Andrej Holm. Ihm wird vorgeworfen, Mitglied der „militanten gruppe“, einer damals als terroristisch eingestuften linksradikalen Gruppierung zu sein, die auch für die Brandanschläge in Brandenburg verantwortlich war. Die Polizei hielt ihn für den intellektuellen Kopf der Gruppe und den Verfasser der zahlreichen Bekennerschreiben und Diskussionspapiere, die die militante Gruppe veröffentlicht hatte. Die militante gruppe wird für 25 Brandanschläge, vornehmlich auf Fahrzeuge von Polizei und Bundeswehr, aber auch auf Sozial- und Arbeitsämter in den Jahren 2001-2007 verantwortlich gemacht. Sie gab 2009 ihre Selbstauflösung bekannt. Sie wird nicht mehr als terroristische, sondern als linksradikale kriminelle Vereinigung angesehen.

Andrej Holm hatte sich in den Augen der Polizei dadurch verdächtig gemacht, dass seine wissenschaftlichen Arbeiten in sprachlicher Hinsicht Ähnlichkeiten mit den Bekennerschreiben der Gruppe hatten: die Polizei stellte fest, dass Lemmata wie „Gentrifizierung“ und „Prekarisierung“ in den Texten Holms und der mg signifikant häufig vorkamen. Die Polizei hatte gegooglet, berichteten die Medien. Immerhin auch ein computergestütztes Verfahren. Da Verfassungsschutzbehörden sicherlich auch in den Fall involviert waren, kann jedoch auch gemutmaßt werden, dass andere, evtl. auch komplexere Verfahren der maschinellen Autorenidentifizierung zum Einsatz kamen, auch wenn diese im Ermittlungsverfahren gegen Andrej Holm keine weitere Rolle spielen konnten.


Die „Verdächtigen“

Aus Sicht der forensischen Linguistik soll nun der Fall neu aufgerollt werden. Um es gleich zu Beginn zu sagen: Das hier ist kein ernst zu nehmendes linguistisch-forensisches Gutachten und die Ergebnisse sind in keiner Weise dazu geeignet, Verdächtige zu überführen. Das zeigt auch schon die Liste jener, die ich „verdächtige“, Autoren der mg-Texte zu sein, die mithin mit Texten in meinen Trainingsdaten vertreten sind.

Zunächst folge ich unseren Strafverfolgungsbehörden und nehme zwei Korpora des vom BKA Verdächtigten Andrej Holm:

  • gentrification blog, Blog von Andrej Holm: 491 Posts, 304.406 laufende Wortformen, 2008-2012
  • gentrification Theorie, wissenschaftliche Aufsätze von Andrej Holm: 5 Aufsätze, 40.853 laufende Wortformen, 2004-2012.

Wenn Terrorverdacht im Raum steht, dürfen natürlich auch Ermittlungen in islamistischen Kreisen nicht fehlen:

  • Ich nehme zwei Korpora mit allen Forenbeiträgen der Autoren aus einem salafistischen Forum (derW****, 570.016 / Muu****, 268.165), die sich irgendwann einmal zur Situation auf dem Wohnungsmarkt geäußert haben, und
  • das Blog der Islambruderschaft Deutschland, 129.965 laufende Wortformen

Auch muss man aufpassen, sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, auf dem rechten Auge blind zu sein:

  • Ich nehme zwei Autorenkorpora aus dem inzwischen geschlossenen NPD-Forum Gernot (88.161), Spinne (147.144) und
  • Michael Kühnens „Schriften“, 111.873 laufende Wortformen.

Zudem will ich überprüfen, ob nicht Alt-RAFler oder andere ehemalige Linksterroristen als militante Gruppe wieder aktiv sind. Daher nehme ich:

  • die Texte der Revolutionären Zellen (203.492) und
  • die Texte der Roten Armee Fraktion (195.939).

Ich nehme auch noch zwei Diskutanden aus dem Diskussionsforum eines globalisierungskritischen Netzwerks hinzu, weil Globalisierungskritiker nunmal verdächtig sind:

  • bur*** (102.955 laufende Wortformen), Pom*** (21.241 laufende Wortformen), 2007-2009.

Hinzu kommen noch zwei Autoren, die sich durch ihre publizistisches Wirken verdächtig gemacht haben:

  • Fefe, wegen Verbreitung von Verschwörungstheorien in seinem Blog: 24.239 Posts, 1.928.027 laufende Wortformen, 2005-2012
  • Franz Josef Wagner mit seiner Kolumne „Post von Wagner“, die von manchem als schwer staatsgefährdend empfunden wird: 1.390 „Briefe“, 233.008 laufende Wortformen, 2006-2012.

Später kommen dann noch die Texte der militanten gruppe dazu:

  • 15 Anschlagserklärungen (27.828)
  • 4 mg express (7.679)
  • 14 Texte zur Militanzdebatte (50.078)
  • 8 thematische Beiträge (90.328)

Die Suche nach globalen Konstanten ist so wenig zeitgemäß, dass ich hier auf die älteren Blogbeiträge verweise. Weil sich die Ergebnisse so gut veranschaulichen lassen, illustriere ich das Vorgehen bei der Autorenidentifizierung mittels multivariater Statistik anhand der Clusteranalyse.


Textclustering

Die Clusteranalyse ist ein strukturentdeckendes Verfahren der multivariaten Statistik. Sie entdeckt Gruppen von „ähnlichen“ Objekten. In unserem Fall sind die Objekte Texte, die aufgrund ihrer Ähnlichkeit bzw. Unähnlichkeit im Hinblick auf linguistische Merkmale gruppiert werden. Natürlich ist es von entscheidender Bedeutung, anhand welcher linguistischer Merkmale ich die Gruppierung vornehmen. Die folgenden drei Analysen zeigen eindrucksvoll, wie unterschiedlich die Ergebnisse bei je unterschiedlichen linguistischen Kategorien sind. Der Übersichtlichkeit halber habe ich mit den Gesamtkorpora gerechnet.

Sicherheitsinformatiker halten Funktionswörter für besonders gute linguistische Kategorien, weil sie glauben, dass sie unbewusst verwendet werden und daher auch nicht manipuliert werden können. Führt man eine Clusteranalyse anhand der Distribution von Funktionswörtern (z.B. Artikel, Präpositionen, Konjunktionen) durch, dann erhält man folgendes, eher unklare Bild:



Dendrogramm Funktionswörter



Die Texte Andrej Holms und der militanten Gruppe sind jeweils gelb gekennzeichnet, jedoch durch verschiedene Schriftfarben von einander abgesetzt. Eine Autorschaft Andrej Holms kann auf der Basis dieser Daten nicht abgeleitet werden — im Gegenteil. Zusammen mit anderen eher weltanschaulich-theorielastigen Texten (RZ, RAF, Islambruderschaft, Kühnen) bilden die Textkorpora der militanten Gruppe ein eigenes Cluster. Offenbar fungiert hier die Textsorte als Hintergrundvariable. Dass Fefe sich in der Nachbarschaft von Franz Josef Wagner befindet, ist ein interessantes Detail.

Führt man eine Clusteranalyse anhand der Distribution von Inhaltswörtern durch, kommt man zu einer anderen Gruppierung der Texte.



Dendrogramm Inhaltswörter



Die Texte zur Rechtfertigung linker Gewalt (RAF, RZ, mg) bilden ein Cluster. Auch Andrej Holms wissenschaftliche Texte und Blogbeiträge lassen sich zusammen als eigene Gruppe interpretieren, die aber einen großen Abstand zum Cluster der mg-Texte aufweist. Obwohl also bestimmte Inhaltswörter das BKA dazu verleitet haben, Andrej Holm zu verdächtigen, ergibt die Analyse von Inhaltswörtern, dass auf ihrer Basis eine Autorschaft kaum wahrscheinlich ist. Ansonsten zeigt das Dendrogramm, das Inhaltswörter sich nur leidlich gut für die Identifizierung inhaltlicher Gemeinsamkeiten eignen. Zwar liegen die Texte von Islambruderschaft und Salafisten in einem Cluster, allerdings befindet sich dort auch Franz Josef Wagner. Auch irritiert die Nachbarschaft, in der sich Fefe befindet.

Ein weitere Kategorie, mittels derer man Texte in interessanter Weise gruppieren kann, sind komplexe n-Gramme; vgl. hierzu einen älteren Beitrag.



Dendrogramm komplexe n-Gramme



Die Ananlyse zeigt hier zwar, dass die Texte Andrej Holms zusammen mit den Texten der militanten Gruppe ein Cluster bilden, allerdings ist auch hier offensichtlich, dass Texte, die entweder wissenschaftlich argumentieren oder sich stilistisch den Anschein von Wissenschaftlichkeit (Kühnen, RAF, RZ) geben wollen, gemeinsam gruppiert wurden. Es ist damit relativ offensichtlich, dass wir hier nicht Autorschaft messen, sondern Stilkonventionen oder Textsorten.


Maschinelles Lernen

Beim maschinellen Lernen sind die oben beschriebenen Korpora die Trainingsdaten, mit deren Hilfe ein Klassifikator berechnet wird. Der Klassifikator kann dann dazu benutzt werden, die anonymen Texte einer Klasse zuzuweisen. Bei der Autorenidentifizierung mittles maschinellem Lernen benutzt man üblicherweise eine große Vielzahl an linguistischen Merkmalen. Ich habe mich auf folgende beschränkt:

  • relative Frequenz intensivierende Partikel (Gradpartikel)
  • durchschnittliche Satzlänge
  • Wortschatzkomplexitätsmaß Yule‘s K
  • relative Frequenz Passiv-Konstruktionen
  • relative Frequenz Konjunktiv I
  • relative Frequenz Konjunktiv II
  • relative Frequenz von Partizipialkonstruktionen
  • relative Frequenz von Präpositionalgruppenclustern
  • Schwierigkeit der Präpositionalgruppencluster (durchschnittliche Häufigkeitsklasse (Quelle: DeReKo) der in Präpositionalgruppenclustern auftretenden Präpositionen)

Anders als bei den Untersuchungen vorher wurde nicht mit Gesamtkorpora gerechnet. Zum Trainieren des Klassifikators wurden alle Einzeltexte benutzt, die mindestens 800 laufende Wortformen haben.

Um zu illustrieren, wie so ein Klassifikator aussehen kann, habe ich das Entscheidungsbaumverfahren benutzt. Beim Entscheidungsbaumverfahren wird eine Datensatz Schritt für Schritt in Unterklassen geteilt.



Aus den Trainingsdaten abgeleiteter Entscheidungsbaum



Im obigen Graph kodiert jeder Pfad vom Wurzelknoten zu einem Blatt eine Entscheidungsregel. Berechnet man nun die linguistischen Merkmale der anonymen Texte, in unserem Fall der Texte der militanten Gruppe, dann können diese mit Hilfe der Entscheidungsregeln einem Autor zugewiesen werden.

Von den 41 Texten der militanten Gruppe werden mittels dieses Klassifikators 13 den Revolutionären Zellen zugeschrieben, 4 einem Diskutanden aus einem Forum, einen Beitrag zur Militanzdebatte soll Fefe verfasst haben, und 23 Texte der militanten Gruppe werden als den Blogbeiträgen von Andrej Holm am ähnlichsten klassifiziert. Dabei ist es bei den allermeisten Blogbeiträgen nur eine Kombination zweier Merkmale, die für die Klassifikation als Holm-Text verantwortlich sind: eine geringe Anzahl von Konjunktiv-II-Formen und ein relativ hoher Anteil Partizipialkonstruktionen. Ich habe die betreffende Entscheidungsregel in der folgenden Abbildung farblich markiert.



Entscheidungsbaum mit markierter Entscheidungsregel



Der Konjunktiv II ist eine grammatische Form, die häufig zum Ausdruck von Höflichkeit benutzt wird oder der Formulierung von Irrealem (etwa in irrealen Konditionalsätzen) dient. Es ist daher nicht falsch anzunehmen, dass es Zusammenhänge zwischen dem Inhalt des Gesagten und der Frequenz von Konjunktiv-II-Formen gibt. Partizipialkonstruktionen sind hingegen typische Merkmale eines Nominalstils, die in einem Wissenschaftler-Blog durchaus erwartbar sind, auch in meinem.

Messen wir hier also tatsächlich einen Individualstil? Oder nicht doch eher inhaltliche und kommunikationsbereichsspezifische Merkmale? Und wenn wir nicht genau wissen, ob unsere Messinstrumente valide sind, wie verhält es sich dann eigentlich mit der prognostischen Güte unseres Modells? Die Frage ist natürlich eine rhetorische, denn wenn die Merkmale nicht valide sind, dann ist der Klassifikator zwar gut genug, um die Trainingsdaten zu klassifizieren, aber er hat keinerlei prognostischen Wert.

Die Analyse zeigt, wie sehr die maschinelle Autorenidentifikation davon abhängig ist, anhand welcher linguistischer Merkmale wir die Klassifikation vornehmen und ob diese Merkmale tatsächlich als Repräsentanten eines Individualstils gelten können. Die Bedeutung kommunikationsbereichs-, textsortenspezifischer und inhaltlicher Faktoren ist bislang von der Forschung noch nicht annähernd hinreichend gewürdigt. Die Gefahr fälschlicherweise in Verdacht zu geraten, ist daher groß.


Gibt es einen sprachlichen Fingerabdruck?

Liebe Freunde der Sicherheit,

oftmals sind sprachliche Spuren das einzige, was wir von vermeintlichen Täterinnen und Tätern haben. Besonders im Internet, wo Kriminelle ihre digitalen Identitäten trotz aller Bemühungen noch immer verschleiern können, sind die anonymen sprachlichen Äußerungen von Gefährdern oder geistigen Brandstiftern die einzige Möglichkeit, ihre wahre Identität aufzudecken.

So wie ein Einbrecher bei seinen Untaten Fingerabdrücke hinterlässt, so wie ein Vergewaltiger anhand seiner DNA-Spuren identifiziert werden kann, so können forensische Linguisten Täter anhand ihrer Sprache dingfest machen. So wie man durch den Abgleich von Fingerabdrücken und Zellresten mit einer Fingerabdruck- oder DNA-Datenbank einen Täter identifizieren kann, brauchen Sprachforensiker nur die sprachlichen Spuren des Täters am Tatort mit Texten abzugleichen, die einem Verdächtigen sicher zugeordnet werden können. Und wenn das sprachmaterial mit den Spuren übereinstimmen, dann klicken die Handschellen. Der sprachliche Fingerabdruck hat den Täter überführt.

So jedenfalls wollen uns so manche Informatiker glauben machen, die ihre Aufsätze mit so viel versprechenden Titeln wie „From Fingerprint to Writeprint“ betiteln. Ich bin mir nicht sicher, ob sie wirklich daran glauben oder ob es Teil einer Strategie ist, sich mehr Drittmittel einzuverleiben. Denn: einen sprachlichen Fingerabdruck gibt es nicht. Höchstens als irreführende Metapher.

Was ist ein Fingerabdruck?

Dazu muss man zunächst verstehen, was ein Fingerabdruck ist. Bei einem Fingerabdruck handelt es sich um eine Visualisierung der Papillarleisten am Endglied eines Fingers. Diese bilden offenbar abhängig von den Erbanlagen und von der Ernährung des ungeborenen Kindes eine individuelle Form aus, die sich im Laufe des Lebens nicht mehr oder kaum mehr verändert. Damit ein Fingerabdruck für eine computergestützte Forensik brauchbar ist, d.h. zum Beispiel in einer Datenbank erfasst und maschinell abgleichbar ist, wird ein Merkmalsset standardisiert erfasst. Die jeweilige Merkmalskombination gilt als einmalig.

Ähnlich verhält es sich mit dem sogenannten genetischen Fingerabdruck. Hier wird für forensische Zwecke keineswegs die gesamten Erbgutinformationen gespeichert und für einen Datenbankabgleich verfügbar gemacht. Vielmehr werden bestimmte Stellen in der DNA daraufhin untersucht, wie häufig an ihnen sogenannte short tandem repeats (STRs), also Wiederholungen von bestimmten Sequenzen vorkommen. Die variable Anzahl der Wiederholungen an diesen Punkten ergibt eine individuelles Profil, das einer Person zugeordnet werden und zu deren Identifizierung benutzt werden kann. Die DNA eines Menschen ist im Prinzip invariant und eignet sich daher gut, um Personen zu identifizieren.

Beide Verfahren beruhen also auf der Analyse messbarer Entitäten, die ihren Ursprung in biochemischen Prozessen haben, die sich einem unmittelbaren individuellen oder sozialen Einfluss entziehen.

Man könnte es sich nun leicht machen und sagen: Sprache ist im Gegensatz dazu etwas Soziales. Um verständlich kommunizieren zu können, müssen wir uns auf soziale Konventionen beziehen, auf übliche Verwendungsweisen von Wörtern (vulgo: Bedeutung) und auf Regeln, wie diese Wörter zu Sinneinheiten (vulgo: Grammatik) zusammengesetzt werden. Zudem kommunzieren wir auch nicht nur nach unseren Vorstellungen, sondern richten unsere Äußerungen auf unser intendiertes Publikum hin aus und konstruieren damit auch einen sozialen Kontext. Unseren Papillarleisten ist es aber egal, wem wir die Hand geben oder für wen wir Kaffee kochen. Sie sehen immer gleich aus. Wir treffen auch kontextabhängig keine Auswahl aus unserer DNA wie wir aus den in der Sprache möglichen Ausrucksweisen wählen, je nach dem, was wir gerade stilistisch für angemessen halten.

Abdruck wovon?

Aber so leicht würden es uns die Informatiker nicht machen. Sie würden vielleicht sagen, dass wir das Ontologisieren bleiben lassen sollten, denn abstrakt hätten wir es eben doch mit dem gleichen Problem zu tun: immer geht es darum, Merkmalsmuster zu finden, die als typisch für eine Person gelten sollen. Bei Papillarleisten oder der DNA kommen wir mit weniger Merkmalen aus als bei der Sprache, aber auch bei der Sprache ermöglicht die sprachliche Kompetenz und die Auswahl, die jeder Mensch aus den ihm zur Verfügung stehenden sprachlichen Mitteln trifft, die Erstellung eines individuellen Merkmalprofils. Und mal ehrlich: die short tandem repeats haben schon eine große Ähnlichkeit mit den n-Grammen aus der Linguistik.

Hier kommen wir aber nun an den Punkt, wo es sich lohnt über die Bedeutung des Wortes „Abdruck“ zu reflektieren. Während wir wissen, dass ein Fingerabdruck immer ein Abbild des einen betreffenden Fingers ist, dass die DNA in einer Zelle eine exakte Kopie der DNA aller anderer Zellen im Körper der betreffenden Person ist, so wissen wir überhaupt nicht, auf was eigentlich der sprachliche „Abdruck“ verweisen soll. Was drückt sich denn da ab, wenn wir schreiben?

Um von einem sprachlichen Fingerabdruck zu sprechen, müsste es etwas sein, das garantiert, dass beim nächsten Mal exakt das gleiche Muster wieder sichtbar wird. Das einzige, was mir als Linguist hier einfiele, ist die sprachliche Kompetenz. Aber gerade die ist nicht fest, sie wandelt sich ständig. Mit jedem Wort, das ich spreche, mit jedem Satz, den ich schreibe oder lese, aktualisiert sie sich. Und jede Aktualisierung ist eine (wenn auch kleine) Veränderung. Deshalb gibt es auch keinen sprachlichen Fingerabdruck: Es gibt kein festes Muster, an dem wir die Typizität einer Äußerung messen könnten.

Wir können lediglich Ähnlichkeiten zwischen Texten berechnen und mit Wahrscheinlichkeiten operieren. Mit der Evidenz eines Fingerabdrucks oder einer DNA-Spur hat das wenig zu tun. Und gegen gut gemachte sprachliche Maskeraden sind wir ohnehin machtlos.

 

Textklassifikation und Autorenidentifikation mit Hilfe komplexer n-Gramm-Analyse

Heute möchte ich eine Methode zur Klassifikation von Texten vorstellen, in der sprachliche Einheiten nicht isoliert betrachtet werden, sondern jeweils kleine Fetzen sprachlichen Materials analysiert werden. Je größer die analysierten Fetzen sind, desto eher kann man natürlich davon ausgehen, dass sie irgendwelche relevanten Informationen transportieren: Ein Satz enthält mehr Informationen als zwei Wörter. Je größer allerdings die Einheiten sind, desto unwahrscheinlicher ist es, dass sie in der gleichen Form wieder auftreten. Das ist wiederum problematisch, weil man bei der Analyse ja nach wiederkehrenden Mustern sucht und je größer die Einheiten sind, desto mehr Text braucht man, damit man wiederkehrende Muster in aussagekräftiger Zahl bekommt. Alles eine Frage der Skalierung also. Die im Folgenden beschriebene und erprobte Methode könnte man als komplexe n-Gramm-Analyse bezeichnen.

komplexe n-Gramme

n-Gramme sind Einheiten, die aus n Elementen bestehen. Normalerweise werden n-Gramme als Folge von Wortformen verstanden. Im Rahmen einer n-Gramm-Analyse werden alle im Korpus vorkommenden n-Gramme berechnet, wobei bestimmte Parameter wie Länge der Mehrworteinheit (aus zwei, drei oder mehr Wörtern bestehend) oder Spannweite (sind Lücken zwischen den Wörtern erlaubt?) festgelegt werden. Die hier verwendete n-Gramm-Analyse betrachtet jedoch nicht nur Wortformen als Einheiten, sondern auch weitere interpretative linguistische Kategorien. Dies können zum einen Elemente sein, die sich auf die Tokenebene beziehen und die Wortform funktional oder semantisch deuten (als Repräsentant einer Wortart oder als Teil einer semantischen Klasse). Zum anderen aber auch Elemente, die über die Tokenebene hinausgreifen, etwa das Tempus oder die Modalität einer Äußerung (direkte vs. indirekte Rede).

Kombinationen von n Einheiten

Welche Elemente in die Analyse mit einbezogen werden, hängt einerseits von der jeweiligen Forschungsfrage ab, andererseits forschungspraktisch auch davon, welche Ressourcen für die Annotation des Korpus zur Verfügung stehen. Bei standardsprachlichen Korpora können Lemma- und Wortarteninformationen durch Tagger wie dem TreeTagger leicht und effizient annotiert werden. Eine Wortformenfolge wie „Ich glaube, dass“ hat dann in einem XML-annotierten Korpus etwa folgende Form:

<w pos=“PPER“ lemma=“ich“>Ich</w>
<w pos=“VVFIN“ lemma=“glauben“>glaube</w>
<w pos=“$,“ lemma=“,“>,</w>
<w pos=“KOUS“ lemma=“dass“>dass</w>

Berechnet man nun beispielsweise Tetragramme, die nicht nur die Wortformen, sondern auch Lemmata und Wortarteninformationen als weitere Elemente mit einzubeziehen, dann ergeben sich bei drei Dimensionen 3^4=81 Vier-Einheiten-Kombinationsmöglichkeiten:

Ich glaube , dass
ICH GLAUBEN , DASS
PPER glaube , dass
PPER GLAUBEN, dass
Ich VVFIN , dass
Ich glaube , KOUS
PPER VVFIN , dass

Jedes der Tetragramme, das sich in einem der beiden Korpora findet, kann nun als eine Variable aufgefasst werden, aufgrund deren Verteilung sich die Texte im Korpus potenziell stilistisch unterscheiden.

Das GerMov-Korpus

Die folgenden Untersuchungen werden anhand des GerMov-Korpus, einem Korpus zur gesprochenen und geschriebenen Sprache der 68er-Bewegung durchgeführt. Das Korpus habe ich im Rahmen einer umfangreichen Studie zum Einfluss von 68er-Bewegung und Alternativmilieu auf die Kommunikationsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland erstellt. Bei der Zusammenstellung des Korpus und seiner Subkorpora waren zunächst außersprachliche Gesichtspunkte, in einem zweiten Schritt textlinguistische Überlegungen leitend. Das Korpus sollte es u. a. erlauben, unterschiedliche Stile der verbalen face-to-face-Interaktion innerhalb der 68er-Bewegung zu rekonstruieren. Dabei wurde ausgehend von der Forschung zum Kleidungsverhalten  und zur medialen Vermittlung expressiver Formen des Protests  von einer lebensstilistischen Dualität innerhalb der Bewegung ausgegangen, die ihre Wurzeln auch in konkurrierenden Ideologien hatte.

Sozialstilistik der 68er-Bewegung

Auf der einen Seite standen die Träger eines intellektuell-avantgardistischen Stils. Bei ihnen handelte es sich um Angehörige unterschiedlicher sozialer Gruppen, die während der 68er-Bewegung aber intensiv kooperierten: zum einen die Studierenden, vornehmlich solche, die in linken Studentenverbänden organisiert waren, zum anderen Linksintellektuelle, die in Politik, Universität, Verwaltung oder im kulturellen Sektor bereits Karriere gemacht hatten, die sich beispielsweise in Republikanischen Clubs zusammenfanden. Sie pflegten einen auf symbolische Distinktion zunächst weitgehend verzichtenden Lebensstil, trugen Anzug oder Freizeitkleidung (Hemd und Pullovern, Jacket und Cordhose) und praktizierten Lebensformen wie andere Menschen ihrer Berufsgruppen. Nur in einem Bereich legten sie Wert auf Unterscheidung: Sie inszenierten sich als intellektuelle Informations- und Diskussionselite.

Auf der anderen Seite standen die Träger eines hedonistischen Selbstverwirklichungsstils, der in Kommunen und Subkulturen geprägt wurde. Sie entdeckten den eigenen Körper als zentrales Medium des expressiven Protestes, griffen – ähnlich den amerikanischen Hippies – tief in den Fundus von Kostümverleihen und Second-Hand-Läden, spielten mit Nacktheit und Schmuck, ließen sich Bärte und Haare wachsen und praktizierten eine ostentativ informelle Körpersprache. Sie verschmolzen antibürgerliche symbolische Formen mit denen jugendlicher Populärkultur zu einem sich als individualistisch verstehenden, lustbetonten Lebensstil: Die Revolution sollte bei jedem Einzelnen beginnen und vor allem Spaß machen. Während die intellektuellen Avantgarden das Ziel der 68er-Bewegung in einer Umwälzung der Besitz- und Produktionsverhältnisse sahen, begriffen die hedonistischen Kommunarden also die Bewegung als Chance für die Entwicklung und Praktizierung neuer Lebensformen, die eine gesellschaftliche Veränderung zwangsläufig mit sich bringen würde.

Zusammensetzung des Korpus

Die Kriterien der Milieuzugehörigkeit der Textproduzenten, der Medialität / Textsorte und der Kommunikationssituation setzte der Textauswahl sehr enge Grenzen. Die einzige Textsorte, für die hinsichtlich aller Kriterien eine hinreichende Menge an Texten gefunden werden konnte, waren Tonbandprotokolle. Insgesamt konnten 29 Tonbandprotokolle aus den Jahren 1967 bis 1969 in Archiven und zeitgenössischen Buch- und Zeitschriftenpublikationen gefunden werden, davon stammen 21 aus dem hedonistischen Selbstverwirklichungsmilieu, 8 aus dem linksintellektuellen Milieu. Die Zuordnung erfolgte beim linksintellektuellen Milieu anhand der identifizierbaren Gesprächsteilnehmer und deren Zugehörigkeit zu politischen Gruppen, die jeweils den Milieus eindeutig zuzuordnen waren. Die Protokolle aus dem Kommunemilieu waren ausnahmslos als solche betitelt und wurden in szenetypischen Kontexten publiziert, was auch hier eine zweifelsfreie Zuordnung ermöglichte.

Das GerMov-Korpus wurde mit Hilfe des TreeTaggers tokenisiert, mit Wortarten-Informationen annotiert und lemmatisiert. Beim verwendeten Tagset handelt es sich um das Stuttgart-Tübingen-Tagset (STTS).  Darüber hinaus wurden einige Kategorien auf der Token-Ebene wie Kommunikationsverben, Intensivierer und Schlagwörter der Neuen Linken annotiert.

Textclustering mittels komplexer n-Gramme

Berechnungsparameter: Berechnet wurden komplexe Pentagramme ohne Leerstellen, die aus den Dimensionen Wortarteninformation (einschließlich semantischer Klassen) und Wortformen zusammengesetzt wurden, wobei auf der Dimension Wortform nur Funktionswörter und Satzzeichen in die Analyse einbezogen wurden. Auf die Dimension Lemma wurde gänzlich verzichtet. Die Pentagramme wurden über Satzgrenzen hinaus berechnet. Es wurden nur solche n-Gramme in die Analyse aufgenommen, die im Gesamtkorpus mindestens vier Mal auftraten. Um den Einfluss der Textlängendifferenz zu reduzieren, wurden für die hierarchische Clusteranalyse nach dem Ward-Verfahren die Frequenzen der n-Gramme nach der Textlänge gewichtet.

Nun aber zu den Ergebnissen der Clusteranalyse: Im folgenden Dendrogramm sind die Namen der Texte so gewählt, dass die anhand außersprachlicher Kriterien erfolgte Milieuzuteilung ersichtlich ist. „Linksintellektuell“ steht für das linksintellektuell-avantgardistische Milieu, „Hedonistisch“ für das hedonistische Selbstverwirklichungsmilieu. Die Ziffer im Anschluss an die Milieubezeichnung ist lediglich eine Identifizierungsnummer. Fünf der 21 Protokolle aus dem hedonistischen Selbstverwirklichungsmilieu stammen aus einer einzigen Kommue, der sog. Linkseckkommune. Sie wurden zusätzlich mit einem „l“ nach der ID gekennzeichnet.

Dendrogramm des Textclusterings anhand komplexer n-Gramme von Tonbandprotokollen der 68er-Bewegung

Dendrogramm des Textclusterings anhand komplexer n-Gramme von Tonbandprotokollen der 68er-Bewegung

Die Clusteranalyse zeigt, dass die Protokolle aus dem linksintellektuellen Milieu ein Cluster bilden, das sich deutlich von den Protokollen des hedonistischen Selbstverwirklichungsmilieus unterscheidet. Innerhalb der Protokolle des hedonistischen Selbstverwirklichungsmilieus bilden die fünf Protokolle aus der Linkeckkommune wiederum ein eigenes Cluster. Die größte Differenz jedoch besteht zwischen Protokoll 14 aus dem hedonistischen Selbstverwirklichungsmilieu und allen anderen Protokollen. Wie ist dieser Unterschied zu erklären? Offensichtlich werden hier Effekte der Textlänge sichtbar. Das Protokoll Nummer 14 ist mit einer Länge von gerade einmal 71 Wörtern das kürzeste und enthält damit offenbar nicht hinreichend viel Text, um aus ihm eine für stilistische Analysen hinreichend große Menge an n-Grammen zu bilden. Die Gewichtung der Frequenz der auftretenden n-Gramme nach der Textlänge dürfte den Effekt noch verstärkt haben.

Geht man von der Annahme aus, dass den sozialstilistischen Unterschieden, auf deren Basis die Zuweisung der Texte zu Milieus erfolgte, auch kommunikationsstilistische Unterschiede korrespondieren, so deuten die Ergebnisse darauf hin, dass das gewählte Verfahren dazu ziemlich gut geeignet ist, stilistische Unterschiede aufzudecken.

Man muss aber der Ehrlichkeit halber hinzufügen, dass die stilistischen Unterschiede in den Texten wirklich sehr ausgeprägt sind und auch bei einer einigermaßen aufmerksamen Lektüre hätten auffallen müssen. Wirklich überrascht war ich allerdings davon, dass sich alle Protokolle der Linkeckkommune tatsächlich in einem Cluster wiederfanden.


Ausführlich nachlesen kann man das Ganze übrigens hier:

Scharloth, Joachim / Noah Bubenhofer (2011): Datengeleitete Korpuspragmatik: Korpusvergleich als Methode der Stilanalyse. In: Ekkehard Felder / Marcus Müller / Friedemann Vogel (Hrsg.): Korpuspragmatik. Thematische Korpora als Basis diskurslinguistischer Analysen von Texten und Gesprächen. Berlin, New York: de Gruyter.

Scharloth, Joachim / Noah Bubenhofer / Klaus Rothenhäusler (2011): „Anders schreiben“ aus korpuslinguistischer Perspektive: Datengeleitete Zugänge zum Stil. In: Britt Marie Schuster / Doris Tophinke: Anders schreiben. Berlin: Erich Schmidt Verlag.




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Sprachliche Merkmale bei der Textklassifikation und Autorenidentifikation

Will man Texte klassifizieren, z.B. Zeitungstexte automatisch in die Kategorien Nachrichten, Kommentar und Feature sortieren, oder untersuchen, ob Texte unbekannter Herkunft von einem bestimmten Autor stammen, dann muss Merkmale festlegen, anhand derer die Texte mit einander verglichen werden sollen, um sie nach Ähnlichkeit zu ordnen. Im Folgenden eine Liste von Merkmalskategorien, die in der Stilometrie häufig zum Einsatz kommen.

Textkomplexität

  • durchschnittliche Wortlänge bzw. Verteilung der Wortlängen im Hinblick auf Silben- oder Buchstabenzahl
  • durchschnittlich Wortzahl pro Satz
  • Verhältnis von Types zu Token
  • Frequenzen von Wörtern, die bestimmten Häufigkeit angehören, beispielsweise Wörter, die nur einmal vorkommen (hapax legomena)

Funktionswörter

  • Grundannahme 1: Funktionswörter variieren nicht oder kaum mit dem Thema des Textes, sondern bilden eine Art stilistische Konstante
  • Grundannahme 2: Funktionswörter werden nicht bewusst manipuliert
  • Für das Englische werden typischerweise folgende Wortklassen (mit insgesamt einigen hundert Vertretern) verwendet: Pronomen, Präpositionen, Hilfsverben, Modalverben, Konjunktionen und Artikel; daneben auch Zahlen und Interjektionen, auch wenn es sich dabei nicht um Funktionswörter im engeren Sinn handelt

Syntax und Wortarten

  • relative Frequenz bestimmter syntaktischer Konstruktionen, anhand von:
  • Verteilung der Ergebnisse syntaktischer Text-Chunker und Parser
  • Verteilung von Wortartensequenzen oder Verteilung aus Folgen der Kombination von Wortarten und bestimmten Wortklassen

Funktionale lexikalische Taxonomien

  • bestimmte Wortarten und Funktionswörter werden in ein Klassifikationsschema gebracht, das semantische und grammatikalische Unterschiede zwischen unterschiedlichen Klassen auf unterschiedlichen Ebenen der Abstraktion repräsentiert
  • diese Taxonomien können dann benutzt werden, um Merkmale zu konstruieren, die stilistisch relevant sein können: auf der untersten Ebene können dies Funktionswörter oder part-of-speech-Unigramme sein; aber auch abstraktere Ebenen (Verteilung von semantischen Wortklassen) können für die Stilbestimmung eingesetzt werden

Inhaltswörter

  • eine problematische Kategorie, da Inhaltswörter je nach Thema und Kommunikationsbereich variieren
  • üblicherweise können sehr seltene Wörter und solche, die im Korpus eine stabile Verteilung aufweisen, ausgesondert werden
  • als erfolgreich haben sich auch Inhaltswort-n-Gramme und Kollokationen von Inhaltswörtern erwiesen

Buchstaben n-Gramme

  • einige Autoren behaupten, Buchstaben n-Gramme seien nützlich für die Identifizierung lexikalischer Präferenzen, ja sogar für grammatikalische und orthographische Vorlieben
  • der Vorteil: man braucht überhaupt kein linguistisches Wissen
  • offenbar gibt es gewisse Erfolge bei der Anwendung: insbesondere bei der Textsortenidentifikation oder bei der Messung der Ähnlichkeit von Dokumenten

Weitere Merkmale

  • morphologische Analyse: erfolgreich bei morphologisch komplexeren Sprachen
  • Frequenz und Verteilung von Satzzeichen
  • orthographische und/oder grammatikalische Fehler