Peer Steinbrücks Lieblingsphrasen

Posted on 8th Juli 2013 in Fachsprachen, n-Gramme, Politik

Politik ist Kommunikation. Und nicht nur das: Damit Politiker mit ihrer Deutung der Wirklichkeit möglichst viele Wähler und Wählerinnen erreichen, müssen sie in leichter Variation immer wieder das Gleiche sagen. Der politische Sprachschatz stellt eine große Reihe sprachliche Matritzen bereit, in die (vermeintlich) öffentlichkeitstauglich unterschiedlichste Inhalte verpackt werden können. Wir haben 87 Reden von Peer Steinbrück auf sprachliche Ready-mades untersucht, auf Versatzstücke, die der Kanzlerkandidat der SPD immer wieder verwendet.
Die folgende Tabelle zeigt die Distribution jener Phrasen, derer sich Kanzlerkandidat Peer Steinbrück in seinen Reden am häufigsten bedient. Für die Analyse wurden die Reden in fünf gleich lange Teile gesplittet und die Phrasen jeweils jenem Teil zugeordnet, in dem sie am häufigsten auftraten. Die blauen Balken zeigen die normalisierte relative Frequenz des Auftretens einer Phrase im jeweiligen Redeteil.



Leider scheint das Wahlkampfteam von Peer Steinbrück nicht viel von Open Data zu halten. Auf der Kampagnenwebsite findet sich nur eine kleine Auswahl all jener Reden, die der Kanzlerkandidat Woche für Woche hält.


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IRC-Sprachforensik: „Psychological Profiles of Anonymous Leadership“ auf der Basis von Chatprotokollen

Liebe Freund der Sicherheit,

netzpolitik.org kommentiert die Tatsache, dass offenbar ein vom FBI verfasstes Profiling der führenden Köpfe von Anonymous geleakt ist. Sie stammt von der „Behavioral Science Unit“. Aus linguistischer Perspektive sind diese Profile insofern interessant, als sie ausschließlich aus der Analyse von chat logs, twitter logs und sonstigen Publikationen von Anonymous gewonnen wurden. Sprachkompetenz und Sprachgebrauch werden also zum Maßstab der Persönlichkeit.

Wenn man sich die Bewertungskategorien ansieht, dann zeigt sich, dass das die betreffenden Profiler FBI vorwiegend in den Kategorien der traditionellen forensischen Linguistik denken. Sie bewerten die sprachliche Performanz nach folgenden Kriterien:

  • Den souveränen Umgang mit einer sprachlichen Normen, insbesondere der Standardnorm des American English: über Sabu schreiben die Profiler „His use of netspeak is interspersed with proper American English diction and grammar that implies he is an American citizen and has been educated“ (3). Standardsprachenideologie in Reinform: die Beherrschung der Standardnorm ist eine kulturelle Leistung und zugleich ein Identitätsakt, denn Sprache schafft nationale Identität („Uns knüpft der Sprache heilig Band“). Zudem wird der Gebrauch der Standardnorm auch mit der Variable Alter korreliert.

  • Sprachliche Fehler bzw. Abweichungen von den Normen des American English: Über JoePie91 schreiben die Profiler „There are times when the syntax and grammar infer that JoePie is not an American and may in fact be in the EU.“ (5) Interessant ist, dass nicht die Frage diskutiert wird, ob er Muttersprachler oder Nichtmuttersprachler des Englischen ist.

  • Fachsprache: der Gebrauch von „netspeak“ und die Art ihres Gebrauchs: über JoePie91 schreiben die Profiler „He tends not to use as much netspeak as the others and makes relevant arguments in correct grammatical syntax.“ (5)

  • Die intraindividuelle Variation im Sprachgebrauch: eine zu starke Variation wird als mit einer kohärenten Persönlichkeit nicht vereinbar angesehen; daraus schließen die Profiler entweder mehrfachen Gebrauch eines Pseudonyms oder bewusste Verstellungsabsichten: so unterstellt man Sabu, er benutze netspeak, um sich als „script kiddie“ zu maskieren, weil er sonst durchaus in der Lage sei, grammatikalisch korrekte Sätze zu bilden. Zugleich konstatiert man: „Varying logs from online IRC […] sessions have borne out the possibility however, that the user ID „Sabu“ is sometimes also used by others to confuse auhtorities and others as to who the real person is behind the keyboard.“ Die Hypothese wird jedoch mit dem Hinweis auf die Vielzahl letztlich doch kohärenter Dokumente zurückgewiesen.

Die Profiler lassen im Unklaren, ob sie quantitative Methoden benutzt haben. An einer Stelle schreiben sie über Sabu und die Möglichkeit der Nutzung seines Nicks durch unterschiedliche Personen: „through an amalgam of transcripts the tell tale signs of a consistent individual can be clearly seen and assessed.“ (3) Mit viel Fantasie könnte man hier den Gebrauch quantitativer Analysen hineinlesen. Ich habe aber eher den Eindruck, dass die Profiler die Texte vor allem mit nicht-maschinellen Mitteln analysiert haben.

Eine Datenbank mit IRC-Chats und Twitter-Logs, anhand derer Aussagen über die Spannbreite möglicher intraindividueller Variation möglich wären, stand ihnen offenbar nicht zu Verfügung. Geschweige denn eine Datenbank mit personenspezifischen Textkorpora, die eine Identifizierung der Real-Life-Identitäten ermöglichen würde.

Wenn ich ein Profil der Profiler erstellen sollte (nicht ganz ernst gemeint!): keine Linguisten, sondern Psychologen, die im Studium auch ein bisschen Sprachpsychologie gehört haben, und Soziologen. Der Gebrauch von Ausdrücken wie „slang“ und „diction“ verweist m.E. auf eine Generation, die mit Konzepten der neueren Soziolinguistik und Sprachsoziologie nicht vertraut ist. Ich tippe daher auf ein Alter der Angehörigen der „Behavioral Science Unit“ zwischen 45 und 60 Jahren.

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