Die Sterne lügen nicht — sie wiederholen sich aber ständig: Text-Re-use in Horoskopen

Posted on 15th Februar 2016 in Datengeleitete Analysen, n-Gramme, Off Topic, Textklassifikation

Kaum ein großes Online-Medium jenseits des Qualitätsjournalismus kommt ohne Horoskop aus. Und das, obwohl schon Adorno der Astrologie vor mehr als 50 Jahren bescheinigte, dass die sozialen und psychologischen Bedingungen, die sie ermöglichten, mit dem (damaligen) allgemeinen Aufklärungszustand unvereinbar seien.


Astrologie zwischen Rationalität und Irrationalität

Aus Sicht der Astrologie wirken Gestirnkonstellationen unmittelbar auf den irdischen Gang der Dinge. Sie vermittelt damit ein Weltbild, in dem jeder Mensch unter dem Einfluss objektiver, abstrakter und depersonalisierter Kräfte handelt. So objektiv mess- und berechenbar der Lauf der Gestirne auch sein mag, über die Art und Weise ihres (vermeintlichen) Einflusses auf die Schicksale der Menschen lässt die Astrologie uns im Dunkeln. Dieses Nebeneinander von Rationalität, Empirismus und Transzendenz hat Adorno im Oxymoron des naturalistischen Supranaturalismus gefasst. Folgt man Adorno, korrespondiert dieses Weltbild der Wahrnehmung vieler Menschen in funktional hochgradig differenzierten Gesellschaften: die Unübersichtlichkeit der Welt und die Sinnlosigkeit und Berdohlichkeit sozialer Prozesse wird durch den Glauben an eine Instanz kompensiert, die ein Versprechen auf rationale Begründbarkeit des ansonsten Unerklärlichen gibt. Auf diese Weise wirkt die Astrologie in doppelter Hinsicht stabilisierend auf die Gesellschaft, indem sie den herrschenden Rationalitätstyp bestätigt und die Irrationalitäten der sozialen Ordnung erklärbar macht.

Das Horoskop ist ein Text. Dieser Text leitet bestimmte Aspekte des Lebens einer Personengruppe, die über den Zeitpunkt ihrer Geburt definiert ist, aus einer aktuellen Gestirnkonstellation kausal ab; das klingt dann etwa so: „Unter dem aktuellen Jupiter-Uranus-Einfluss wird Ihr scharfer Zwillinge-Geist noch einmal geschärft.“ Je ausführlicher ein Horoskop ist, desto gründlicher wird die Gestirnkonstellation als argumentative Ressource genutzt. In den knappen Pressehoroskopen fällt sie dagegen sogar häufig zugunsten deutungsoffener und deshalb für jeden mit individuellem Sinn füllbarer Aussagen weg.

Sprachliche Analysen wie die von Katja Furthmann haben an Pressehoroskopen eine Reihe von Themen (Liebe, Beruf, Freizeit und Freundschaft, Gesundheit, Finanzen) und wiederkehrenden Topoi, die sich um den Metatopos des erfüllten, ausgeglichenen Lebens gruppieren („Sie haben hohe Ansprüche – gut so. Aber bitte verlangen Sie nichts Unmögliches“, „So schön die Sommerpartys auch sind, Sie sollten mal wieder richtig ausschlafen“), herausgearbeitet.


Reverse Engineering des Transzendenten mittels maschineller Textanalyse?

Wenn Horoskoptexte Übersetzungen von Gestirnkonstellationen in für den Einzelnen anschlussfähige Darstellungen künftigen Erlebens sind, dann müsste in der Analyse sprachlicher Muster von Horoskoptexten und ihrer Distribution die höhere Ordnung, die den Gang unserer aller Leben bestimmt, zumindest aufscheinen — so dachte ich. Vielleicht wäre es sogar möglich wie bei einem Reverse Engineering die Strukturen und Verhaltensweisen der Konstruktionselemente unserer Welt zu extrahieren. Ich machte mich also daran, Horoskope zu sammeln.

Das Sammeln der Horoskope gestaltete sich jedoch schwieriger als gedacht. Denn obwohl jedes größere Online-Medium täglich ein Horoskop veröffentlicht, werden die Horoskoptexte nicht archiviert. Meist ist nur das tagesaktuelle Horoskop verfügbar, selten noch das vom Tag vorher und die Horoskope weiterer Tage. Und fast immer stammen die Horoskope aus derselben Quelle, die mit lizensierten Astrologen, Content nach Maß und flexiblen Push- bzw. Pullservices wirbt.

Endlich wurde ich aber in den Tiefen und Oberflächen des Netzes fündig und konnte gemeinsam mit einem Kollegen für den Zweck der Erforschung von Textmustern 383 Tageshoroskope für jedes der zwölf Sternzeichen extrahieren. Eine simple datengeleitete Analyse gängiger Phrasen zeigte schon, dass die insgesamt 4596 Texte hochgradig rekurrent sind. Das ganze Ausmaß der Text-Re-use wurde mir aber erst deutlich, als ich die längste Überschneidung zwischen zwei Texten (longest common substring) berechnete. Mehrere Horoskoptexte waren völlig deckungsgleich. Und nicht nur das.


Im Himmel nichts Neues

Die 4596 Tageshoroskope wurden mit gerade einmal 894 unterschiedlichen Texten bestückt. Von diesen wurden 568 Texte, das sind 65.5%, mehrfach benutzt. 146 von ihnen sogar zehn mal und mehr. Der am häufigsten gebrauchte Text fand 88 mal Verwendung! Der Text besteht aus zwei Sätzen, die den Angehörigen der Zielgruppe am betreffenden Tag eine außerordentliche Selbstreflexion hinsichtlich ihrer Emotionen und Ziele voraussagt und ihnen auch einen erfüllten Kontakt mit ihren Mitmenschen prophezeit:

Sie sind sich Ihrer Gefühle, Wünsche und Bedürfnisse auf ungewöhnlich klare Weise bewusst und können entsprechend für Ihr Wohlbefinden sorgen. Auch für die Anliegen anderer sind Sie offen und begegnen ihnen mit einer menschlichen und warmen Herzlichkeit.

Positive Emotionen und herzliche Kontaktfreude sind durchweg die Themen der am häufigsten verwendeten Tageshoroskope, auch bei dem mit 72 mal am vierthäufigsten verwendeten Text:

Mehr als üblich sprechen Sie über Ihre Gefühle. Durch das Gespräch finden Sie leicht Kontakt und zeigen vermutlich auch Interesse für das Seelenleben anderer. Sie formulieren Ihre Gedanken nicht besonders sachlich und logisch, dafür umso menschlicher.

Der Traum vom Reverse-Engineering platzte endgültig, als ich die Distribution der Text über die Zeit und die Sternzeichen analysierte. Beim häufigsten Horoskoptext lässt diese Verteilung auf den ersten (und auch nicht auf den zweiten) Blick keine Muster erkennen.



Der Text streut unsystematisch über alle Sternzeichen und den gesamten Zeitraum. Einzige Restriktion: Der Text kann am selben Tag nicht bei zwei Sternzeichen gleichzeitig erscheinen. Dagegen ist es aber durchaus möglich, dass er beim gleichen Sternzeichen an zwei aufeinanderfolgenden Tagen erscheint, ja sogar an drei, wie das Beispiel des dritthäufigsten Textes belegt:



Die Analysen über das gesamte Sample zeigten keine nennenswerte Kovariation, der tiefere Sinn der Textwahl blieb ihnen ebenso verborgen wie die für den Uneingeweihten unsichtbaren Kräfte, die unsere Schicksale steuern.

Mein heutiges Horoskop lautet: „Sag es mit einem Lächeln! heißt Ihr Tagesmotto.“ Ich sei heute mitteilsam und kompromissbereit. Meine freundliche, friedfertige Stimmung werde mit mit vielen Menschen in Kontakt bringen und könne zwischen unterschiedlichen Meinungen vermitteln und eine gemeinsame Basis schaffen. Ein guter Tag, um endlich mal wieder zu bloggen, denke ich mir. Und mein heutiger Horoskoptext kommt in meinem Korpus sogar nur neun mal vor! Das ist gemessen an der sonstigen Wiederverwertungsorgie nachgerade ein individueller Text und wird ganz sicher stimmen. Wie alle Horoskope.


Literatur

Adorno, Theodor: Aberglaube aus zweiter Hand. In: Gesammelte Schriften. Band 8. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1997, S. 142-167.

Aphek, Edna, Yishai Tobin: The Semiotics of Fortune Telling. Amsterdam u.a.: Benjamins 1989.

Furthmann, Katja: Die Sterne Lügen nicht. Eine linguistische Analyse der Textsorte Pressehoroskop. Göttingen: V&R unipress 2006.


Maschinelle Analyse narrativer Muster: Wie Männer und Frauen vom “Ersten Mal” erzählen

Posted on 5th September 2014 in Kollokationen, n-Gramme, Off Topic, Visualisierung

Ich hatte mein erstes Mal -> mein erstes Mal mit # -> nahm mich in den Arm -> fragte er mich ob ich -> wir bei ihm zu Hause -> seine Eltern nicht da waren -> kam er auf mich zu -> mich zu küssen und ich -> legten uns auf sein Bett -> fragte mich was los sei -> noch nie einen Freund gehabt -> zogen wir uns gegenseitig aus -> Wir küssten uns leidenschaftlich und -> Dann zog ich ihm seine -> Er schaute mich an und -> schaute mich an und fragte -> an und fragte ob ich -> mit ihm schlafen wolle und -> Er holte ein Kondom aus -> Dann drang er vorsichtig in -> er vorsichtig in mich ein -> Er fragte mich ob ich -> Als er merkte dass ich -> nahm mich in den Arm -> seit # Jahren zusammen und

Diese Phrasen bleiben von einer Geschichte vom „Ersten Mal“, wenn man von ihr das Vereinzelnde, Individualisierende wegnimmt und nur jene Teile der sprachlichen Gestaltung übrig lässt, die auch in anderen Geschichten zum gleichen Thema häufig vorkommen.

Wenn wir unseren Alltag erzählen, dann bedienen wir uns kulturell geprägter Muster. Diese Narrative sind sozial akzeptierte Interpretationsmuster, die unsere Wahrnehmung und Darstellung von Zusammenhängen überhaupt erst ermöglichen, aber gleichzeitig auch begrenzen. Obwohl sie höchst Persönliches und Individuelles zu codieren vorgeben, folgen auch Narrative vom „Ersten Mal“ kulturell geprägten Mustern, denen man sich mit maschinellen Methoden nähern kann. Zusammen mit Noah Bubenhofer und Nicole Müller habe ich 3376 Geschichten vom „Ersten Mal“ auf geschlechtsspezifische Unterschiede hin untersucht.

Sämtliche Geschichten wurden auf den Internet-Plattformen rockundliebe.de (2094 Erzählungen), Erstes-Mal.com (385 Erzählungen) und planet-liebe.de (897 Erzählungen) gesammelt. Die Webseiten wurden automatisiert heruntergeladen, die Texte extrahiert, mit Metainformationen (Alter beim Ersten Mal und Geschlecht) versehen, mit Hilfe des TreeTagger lemmatisiert und mit Part-of-speech-Informationen annotiert. Zusätzlich wurden alle Zahlen durch ein Raute-Symbol ersetzt. Insgesamt umfasst das Korpus 1.886.588 laufende Wortformen. Im Hinblick auf die Dimension Geschlecht ist das Korpus ungleich verteilt: rund 73% der Geschichten stammen von Frauen, nur rund 27% von Männern. Geschichten von Frauen waren mit durchschnittlich 567.9 Wörtern um rund 33 Wörter länger als die von Männern (534.5). Das Durchschnittsalter beim Ersten Mal, wie es von den Autorinnen und Autoren angegeben wurde, lag bei Frauen bei 15.8, bei Männern bei 16.8 Jahren.

Als Analysekategorien dienten uns die Distribution und Verkettung von n-Grammen. Die folgende Tabelle zeigt einen Vergleich der für das jeweilige Korpus typischsten n-Gramme:


Männer-Korpus Frauen-Korpus
llr n-gram f(1) f(2) llr n-gram f(1) f(2)
145,33 fragte sie mich ob ich 0 54 80,84 drang er in mich ein 134 0
88,81 fragte ich sie ob sie 0 33 77,82 ob ich mit ihm schlafen 129 0
75,36 drang ich in sie ein 0 28 68,97 fragte er mich ob ich 167 5
67,28 Ich fragte sie ob sie 0 25 60,93 in mich ein Es tat 101 0
64,59 drang langsam in sie ein 0 24 60,93 legte er sich auf mich 101 0
64,59 setzte sie sich auf mich 0 24 47,66 legte sich auf mich und 79 0
64,59 und zog es mir ueber 0 24 47,66 und drang in mich ein 79 0
61,9 setzte sich auf mich und 0 23 45,85 nahm mich in den Arm 76 0
59,21 sie sich auf mich und 0 22 44,64 und legte sich auf mich 74 0
56,52 ob ich mit ihr schlafen 0 21 44,04 fing er an mich zu 73 0
53,83 Sie fragte mich ob ich 0 20 43,43 er sich auf mich und 72 0
53,83 in sie ein Es war 0 20 42,83 in mich ein Es war 71 0
53,83 mir ein Kondom ueber und 0 20 41,81 Er fragte mich ob ich 123 6
53,83 und ich fragte sie ob 0 20 41,02 und zog es sich ueber 68 0
51,13 fluesterte sie mir ins Ohr 0 19 40,42 ihn in mir zu spueren 67 0
51,13 ich fragte sie ob sie 0 19 40,42 Er legte sich auf mich 67 0
48,44 an mir einen zu blasen 0 18 38 er fragte mich ob ich 63 0
48,44 ich drang in sie ein 0 18 38 mich ob ich mit ihm 63 0
48,44 legte sich auf den Ruecken 0 18 35,59 fragte mich ob ich es 59 0
48,44 mir das Kondom ueber und 0 18 34,38 Ich war mit meinem Freund 57 0


Aus diesen Listen wird unter anderem erkennbar, dass die verbale Handlung des Fragens, oder präziser: des Einholens von Einverständnis, offenbar häufig Bestandteil von Erstes-Mal-Erzählungen sind. Ebenso zeigen sich einige wenige geschlechtsspezifische Unterschiede: etwa die Referenz auf die Dauer der Beziehung („Ich war mit meinem Freund“).

Als eine erste Annäherung an die narrative Struktur haben wir die typischen Positionen von n-Grammen in den Texten bestimmt. Hierfür haben wir alle Texte in mehrere jeweils gleich große Teile geteilt und dann untersucht, in welchen Teilen der Erzählungen die n-Gramme mit welcher Frequenz vorkommen. Die folgenden Abbildungen zeigen die Distribution einiger n-Gramme, deren Positionierung im Text geschlechtsspezifische Unterschiede aufweist. Dies sind beispielsweise n-Gramme, die sexuelle Erfahrung und Beziehungsstatus betreffen:



Distribution von n-Grammen in den Geschichten von Männern und Frauen (normalisierte Werte)

Distribution von n-Grammen in den Geschichten von Männern und Frauen (normalisierte Werte)



Während das n-Gramm „für uns beide das erste“ von Frauen im ersten und vorletzten Abschnitt am häufigsten gebraucht wird, erwähnen Männer die Tatsache, dass es für beide das Erste Mal war, erst am Ende ihrer Erzählungen. Auch das n-Gramm „schon # Monate zusammen und“ wird von Frauen dominant in den ersten Teilen ihrer Geschichten verwendet, Männer hingegen benutzen es am Ende. Eine Kontextanalyse zeigt allerdings, dass bei Verwendung des n-Gramms am Ende einer Erzählung der Geschlechtsakt der Auftakt der Beziehung war, die ihre Fortsetzung bis in die Gegenwart zum Zeitpunkt des Schreibens hat; die Verwendung des n-Gramms zu Beginn einer Erzählung stellt die Dauer der bereits bestehenden Beziehungen dar.

Größere Differenzen in der Distribution zeigen sich auch bei n-Grammen, die auf Schlüsselhandlungen im Kerngeschehen verweisen.



Distribution von n-Grammen in den Geschichten von Männern und Frauen (normalisierte Werte).

Distribution von n-Grammen in den Geschichten von Männern und Frauen (normalisierte Werte).



So sind die n-Gramme „uns in die Augen und“ und „gab mir einen Kuss und“ je gegensätzlich verteilt. Während in den Erzählungen der Frauen der Kuss am Anfang jener Abschnitte zu finden ist, die sich mit sexuellen Handlungen befassen, berichten Männer hier vorwiegend von Blicken in die Augen; Männer berichten, am Ende der sexuellen Aktivitätsphase geküsst zu werden, Frauen erzählen hier dagegen vom Austausch von Blicken. Dies könnte man so deuten, dass für Frauen mit dem Vollzug des Geschlechtsaktes eine Intensivierung der Beziehung einhergeht, die für den Mann durch die Gabe des Einverständnisses zum Geschlechtsakt durch den tiefen Blick bereits erreicht ist und sich dann im Akt manifestiert. Ein weiterer Aspekt könnte sein, dass Männer narratologisch versichern wollen, dass Einverständnis vorgelegen hat, Frauen dagegen, dass zwischen den Partner emotionale Nähe herrschte. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass sich aufgrund kultureller Stereotype geschlechtsspezifische Ängste mit dem „Ersten Mal“ verbinden. In diesen Kontext passen auch die Positionsdifferenzen des n-Gramms „küssten uns die ganze Zeit“. Während das fortwährende Küssen in den Erzählungen der Männer Teil von „Vor-“ bzw. „Nachspiel“ zu sein scheint, schildern Frauen ihr Erstes Mal so, dass das Küssen Bestandteil aller Phasen des Kerngeschehens sein kann.

Unser Verfahren zur Rekonstruktion narrativer Muster auf der Makroebene kombiniert typische Musterpositionen mit n-Gramm-Verkettungen (d.h. kookkurierenden n-Grammen) und visualisiert sie als hierarchischen Graphen. Der folgende Graph (hier als PDF zum Vergrößern), der Tetragrammverkettungen in den Geschichten von Frauen illustriert, bildet die Abfolge von Mustern in der vertikalen Dimension (von oben nach unten) ab. Mehrere voneinander unabhängige narrative Muster im gleichen Abschnitt, das heißt an ähnlichen Erzählpositionen, werden nebeneinander dargestellt. In diesem Graphen sind Bereiche von geringer phraseologischer Durchdringung und Verdichtungsbereiche sichtbar.



Narrationsgraph für die Erzählungen von Frauen

Narrationsgraph für die Erzählungen von Frauen



Muster in 1 referieren auf das Alter der Hauptpersonen der Erzählung:

Mein erstes Mal hatte – ich mit meinem Freund – hatte ich mit # – erstes Mal mit # – Bei meinem ersten Mal – ersten Mal war ich – Freund und ich waren – Ich war damals # – Ich war # und – # und er war – älter als ich und – ist # Jahre älter

Muster in 2 referieren auf die Dauer der Beziehung:

# Monate mit meinem – Monate mit meinem Freund – # Wochen mit meinem – mit mei-nem Freund zusammen – # Monate mit ihm – Monate mit ihm zusammen

Muster in 3 referieren auf die Frage des Mannes nach dem Einverständnis:

schaute mir tief in die – schaute mir lange in die – in die Augen und – fragte mich ob ich – Er fragte mich ob – mit ihm schlafen – ich es wirklich will – ich es wirklich wollte

Muster in 4 referieren auf das sexuelle Geschehen, in dem vor allem der Mann aktiv ist:

Er holte ein Kondom – Kondom aus seiner Hosentasche – aus seiner Tasche – Kondom aus seinem Nachttisch – holte ein Kondom raus – und streifte es sich – zog es sich über – sich über und drang – ganz vorsichtig in mich – langsam und vorsichtig in – langsam in mich ein – drang in mich ein – in mich ein Es – Es tat überhaupt nicht – tat überhaupt nicht weh

Muster in 5 referieren auf den gegenwärtigen Beziehungsstatus:

Und wir sind immer – immer noch zusammen und – immer noch mit ihm – noch mit ihm zusammen – Schatz ich liebe dich – liebe dich über alles

Die Umrisse der typischen Erzählung vom Ersten Mal aus der Sicht von Frauen werden anhand dieses Verfahrens gut sichtbar. Alternative Erzählstränge, die sich teilweise paral-lel zu den grau hinterlegten Teilen befinden, beziehen sich auf die Aspekte Schmerz („erst tat es ein“, „ein bisschen weh aber“, „dann war es einfach“, „es einfach nur noch“), praktische Unerfahrenheit („versuchte in mich einzudringen“) und die Evaluation („Es war ein wunderschönes“, „Es war ein unbeschreibliches“, „war ein unbeschreibliches Gefühl“, „Ich hätte nie gedacht“).

Aus dem folgenden Narrationsgraph (hier als PDF zum Vergrößern), der die Muster aus männlicher Perspektive verfasster Geschichten visualisiert, will ich nur zwei Auffälligkeiten aufgreifen.



Narrationsgraph der Geschichten von Männern

Narrationsgraph für die Erzählungen von Männern



Zum einen sind dies jene sprachlichen Muster im mit 1 bezeichneten Bereich, die auf die Einholung des Einverständnisses zum Geschlechtsakt verweisen. Hier ist es so, dass die Frage von männlicher wie weiblicher Seite kommen kann („fragte sie mich ob“, „ich fragte sie ob“). Zum anderen findet sich im mit 2 bezeichneten Bereich (siehe die nächste Abbildung) eine auffällige Verbindung mehrerer n-Gramme mit der Mehrworteinheit „Sie meinte ich solle“.



Ausschnitt aus dem Narrationsgraphen der Männer

Ausschnitt aus dem Narrationsgraphen der Männer



Die Analysen zeigen, dass Geschichten vom Ersten Mal von Männern und Frauen recht ähnlich erzählt werden und zwar nicht nur im Hinblick auf das sexuelle Geschehen, sondern auch im Hinblick auf die verbalen Handlungen, die ihm vorausgehen und es begleiten. Zentraler Bestandteil typischer Erzählungen beider Geschlechter ist die verbale Verständigung über die Bereitschaft zum Geschlechtsakt und die explizite Gabe des Einverständnisses durch die Frau. Das von der Paarsoziologie als Schwellen-Wendepunkt bezeichnete Erste Mal wird also als eine durch Einverständnis der Frau legitimierte Handlungsfolge erzählt, in der der Mann mehr Handlungsmacht hat als die Frau.

Die Ergebnisse der Analyse haben wir in folgendem Artikel zusammengefasst, den es auch als Preprint gibt:

Bubenhofer, Noah / Nicole Müller / Joachim Scharloth (2014): Narrative Muster und Diskursanalyse: Ein datengeleiteter Ansatz. In: Zeitschrift für Semiotik. Band 35, Heft 3-4 (2013), S. 419-444.


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