Off Topic 2: Noch mehr Fakten zu SPIEGEL Online

Liebe Freunde der Sicherheit,

semantisch bestimmte Wort- und Phrasenklassen lassen sich natürlich nicht nur zur Aufdeckung subversiver Tätigkeiten benutzen, sondern auch für ganz unnütze Dinge, etwa zur Analyse von Online-Medien. Im vorletzten Posting habe ich mir die Ressortentwicklung bei SPIEGEL-Online angeschaut und herausgefunden, was wir ohnehin schon alle wussten: das von uns so geliebte Ressort „Panorama“ wurde in den letzten 10 Jahren langsam aber stetig ausgebaut, so dass es inzwischen sogar mehr Artikel umfasst als Politik-Inland oder Politik-Ausland.

Heute möchte ich euch ein paar Zeitreihen zeigen, die man getrost als Indikator für journalistische Qualität ansehen kann. Die Zeitreihen wurden mit vergleichsweise einfachen Mitteln berechnet: Der Angstindex (man könnte ihn auch Fnordbarometer) zeigt die Anzahl von Wörtern und Wendungen an, die auf einschüchternde Sachverhalte hinweisen (Terror, Seuchen, Umweltkatastophen, Islamisten, Wirtschaftskrisen etc.). Wortschatzkomplexität habe ich mit dem Maß Yule’s K operationalisiert. Der Manipulativitätsindex setzt sich zusammen aus der Anzahl aus Wörtern und Phrasen, die auf Vermutungen bzw. unsicheres Wissen hinweisen (auch Mutmaßungsindex), der Anzahl metasprachlich markierter Wendungen (z.B. sogenannte freie Wahlen) und einer Reihe von Emotionalitätsindikatoren. Der Skandalisierungsindex beruht auf einer Taxonomie, die Lemmata (vor allem Verben und Adjektive) mit starken deontischen Dimensionen erkennbar macht. Die Wort- und Phrasenlisten wurden mit Hilfe maschineller Lernverfahren ermittelt.

Betrachtet man die Entwicklung von SPON von 2000-2010 so fällt zunächst auf, dass die durchschnittliche Wortschatzkomplexität pro Artikel im Trend allmählich abgenommen hat:



Durchschnittliche Wortschatzkomplexität in SPIEGEL-Online

Durchschnittliche Wortschatzkomplexität je Artikel in SPIEGEL-Online



Dafür nehmen die Indikatoren für einen stärker mutmaßenden, d.h. weniger faktengesättigten, und skandalisierenderen journalistischen Stil nach und nach zu:


Skandalisierung- und Mutmaßungsindex für SPIEGEL-Online

Skandalisierung- und Mutmaßungsindex für SPIEGEL-Online



Der Manipulativitätsindex im Ressort Politik verharrt seit Mitte 2009 auf einem Niveau, den er zwischenzeitlich nur kurz nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center hatte:


Manipulativitätsindex für SPIEGEL-Online, Ressort Politik



Interessant ist, dass der Angstindex im Ressort Wirtschaft den politischen Angstindex, der seit 9/11 auf erhöhtem Niveau verharrt, zweitweise im Zuge der Subprime-Krise überholt hat.



Fnord-Index für SPIEGEL-Online, Ressorts Politik und Wirtschaft

Fnord-Index für SPIEGEL-Online, Ressorts Politik und Wirtschaft



Diese Einsicht scheint zwar zunächst trivial, ist aber doch bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass für den SPIEGEL die größte Gefahr nicht mehr von Terroristen, sondern von der Hochfinanz ausgeht.


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13 Responses to "Off Topic 2: Noch mehr Fakten zu SPIEGEL Online"

  1. freiwild sagt:

    Interessante Statistiken. Allerdings hätte ich mir auch bei der Wortschatzkomplexität und beim Mutmaßungs- und Skandalisierungsindex eine Untersuchung nur des Politikressorts gewünscht. Sonst würde ich vermuten, gehen die geringere Komplexität und die Vermehrung der Mutmaßungen auf den Ausbau des Panorama-Ressorts zurück. Aber jemandem, der SPON nur für Politik nutzt, kann es doch egal sein, was und wieviel im Klatsch-Ressort veröffentlicht wird.

  2. Lukas sagt:

    Hallo!

    Die Statistiken zum Spiegel sind wirklich toll! Brauchen wir mehr so etwas. Ich würde mir zu dieser hier (als der 2ten analyse) gerne eine noch genauere dokumentierung wünschen. Die Indikatoren für Manipulativität usw sind mir nicht so leicht verständlich.
    Wortschatzkomplexivität ist einfach verständlich, aber andere sind mir etwas zu vage.

    Auch wäre es super, mal die Daten von anderen deutschen Magazinen durchzucrawlen. Sueddeutschte.de würde ich sehr gerne mal im direkten Vergleich zu SPonline sehen.

    Dennoch erstmal: Sehr gute und vor allem wichtige Arbeit.
    Würde ich mir sehr wünschen, dass sich solch eine analyse etabliert.
    Mit ein paar Informatikern im Team könnte man ja vielleicht auch ein maß der relativen Werbefläche erstellen (Würde natürlich erst ab dem aktuellen Datum gehen).

    • Lukas sagt:

      Achso:
      Wortschatzkomplexität ist ja nicht unbedingt ein positiver faktor. Wie George Orwell ja schon gezeigt hat in „Politics and the English Language“ können komplizierte Wortwahl und umständlicher Satzbau Texte schwer verständlich machen – vor allem für den Verfasser.

  3. Bernhard Goodwin sagt:

    Naja. Das jede Mutmaßung als Teil von Manipulation gesehen wird ist ja schon eine schwer rational zu begründende Operationalisierung. Dass Mutmaßungen offen gelegt werden ist bei gutem Journalismus in einer komplexer werdenden Welt zu erwarten.

  4. meykosoft sagt:

    Vielen Dank dafür!
    Wobei sich meine „gefühlten Werte“ wiedereinmal wesentlich ausgeprägter darstellten ;-)

  5. Matthias sagt:

    Sehr schöne Analyse. Aber da das alles so 100%ig mit meiner subjektiven Wahrnehmung übereinstimmt, ist umso mehr Vorsicht geboten, denke ich.
    Wenn man zum Beispiel bei der Wortschatzkomplexität nicht die Trendlinie, sondern die feiner aufgelösten Daten nimmt, dann scheint es so etwas wie eine Oszillation zu geben: Immer im März gibt’s einen Peak. Macht mich irgendwie ein bisschen skeptisch gegenüber den „maschinellen Lernverfahren“, die für die Erstellung der Wort- und Phrasenlisten verwendet wurden.

  6. Vive sagt:

    Ohne weitere Differenzierungen – z.B. ob die Trigerwörter in Zitaten oder im redaktionellem Teil sind – ist die ganze Statistik irgenwie recht aussagefrei! Selbst ein Artikel gegen manipulative Aussagen von Politikern der viele Zitate hat würde bei dieser völlig unwissenschaftlichen veralgemeinernden Auswertung als eigene Manipulation fehlinterpretiert! Oder auch ein allgemeines Mehr an Zitaten als mehr Manipulation…

    Aber auch hier gilt wie immer: Was will der Autor mit der „objektiven“ „Statistik“ erreichen! Oder:Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast!

    Trotzdem: Gute Idee, viel Mühe gemacht – nur halt leider nicht in der Vorüberlegung!

  7. Stephanie sagt:

    Vielen Dank für die Statistik.

    Vor allem hat mich die Abhnahme der Wortschatzkomplexität überrascht. Spiegel Online wird anscheinend lockerer.

  8. Claus sagt:

    Hauptsache, man hat eine Statistik.
    Dann braucht man ja nicht mehr fragen, wie sie zustande kommt.

    Was bedeutet etwa „Mutmaßungsjournalismus“? Reicht dafür, wenn Spon einen Angeklagten nicht gleich als Mörder bezeichnet wie die Bild, sondern als „mutmaßlichen Mörder“?

    Oder man könnte das Zunehmen von den Worten Terror und Islamisten mal in Zusammenhang gesetzt werden mit einer (möglichen) Zunahme von Terroranschlägen von Islamisten.

    Oder von Politikern, die darüber reden.- schließlich muss Spon darüber ja auch berichten.

    Tatsächlich bin ich auch der Meinung, dass Spon zunehmend boulevardesk wird. Aber dafür reicht mir mein persönliches Empfinden.
    Das ist belastbarer als nicht-nachvollziehbare Statistiken



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