Gängige Irrtümer bei der maschinellen Autorenidentifikation — Vortrag online

Liebe Freunde der Sicherheit,

bei den diesjährigen Datenspuren des C3D2 in Dresden habe ich einen Vortrag zum Thema „Gibt es einen sprachlichen Fingerabdruck? Gängige Irrtümer bei der maschinellen Autorenidentifikation“ gehalten. Das Video zum Vortrag ist nun online.





Vielen Dank an das Orga-Team für die interessante und perfekt organisierte Tagung!


Wortschatz-Komplexitätsmaße im Test

Hier mal eine kleine Illustration, welche Ergebnisse die Wortschatz-Komplexitätsmaße für die Klassifikation von Texten liefern. Als Beispielkorpus habe ich die Texte der militanten gruppe gewählt, weil deren Texte vom BKA schon einmal einer forensischen Analyse unterzogen wurden: einer Analyse im Hinblick auf die Ähnlichkeit mit den Texten eines Soziologen, den man verdächtigte Mitglied der Gruppe zu sein. Dabei sollen Inhaltswörter das Hauptkriterium gewesen sein, wollen uns der Spiegel und andere Medien glauben machen. Die Analyse wurde zu einem jener Indizen, mit denen Überwachung, Festnahme und U-Haft des Soziologen gerechtfertigt wurden. Die folgenden Proberechnungen sind keine ernst zu nehmenden forensischen Analysen, die irgend etwas über die Autoren der Texte der mg aussagen. Sie sollen vielmehr zeigen, wie problematisch der Umgang mit Wortschatz-Komplexitätsmaßen ist. Ich halte es daher auch für unproblematisch, sie zu veröffentlichen.

  • Eine Übersicht über die Texte der mg findet sich in der Tabelle am Ende dieses Blog-Eintrags.
  • Die Texte der militanten gruppe gibt es übrigens unter http://www.semtracks.com/cosmov/ als Korpus für sprachlich-sozialwissenschaftliche Analysen.

Die Analyse erfolgte in zwei Schritten: Zuerst wurden für jeden der 52 Texte die Werte Yule’s K, Sichel’s S, Brunet’s W und Honoré’s R berechnet; im Anschluss wurden die Texte auf der Basis der Werte mittels einer hierarchischen Clusteranalyse gruppiert. Die Ergebnisse in Kürze:

  1. Die Dendrogramme unterscheiden sich kaum im Hinblick auf die Anzahl der Cluster. Je nach Lesart könnte man drei bis fünf unterschiedlichen Autoren in den Reihen der militanten gruppe annehmen.
  2. Allerdings unterscheiden sich die Dendrogramme stark im Hinblick auf die Zusammensetzung der Cluster; d.h. die Texte, die man den potenziellen Autoren zuweist, variieren stark. Dies hat natürlich Konsequenzen für die Validität der Ergebnisse von (1.)
  3. Besonders bei Honoré’s R und Brunet’s W werden Frequenzeffekte sichtbar, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung.
  4. Variablen wie Textsorte oder Entstehungszeit scheinen keinen Einfluss auf die Gruppierung der Texte zu haben. Dies überrascht insbesondere im Hinblick auf die Textsorte, denn es wäre zu erwarten, dass argumentative Texte sprachlich anders gestaltet sind als Bekennerschreiben oder Pressemitteilungen.

Honoré’s R

Die Clusteranalyse zeigen, wie stark das Maß von der Wortzahl abhängig ist. So finden sich alle längeren Texte im Cluster links, das sich am stärksten von den anderen unterscheidet.

Honoré's R: Dendrogramm der Texte der militanten gruppe
Honoré’s R: Dendrogramm der Texte der militanten gruppe


Brunet’s W

Brunet’s W neigt interessanterweise dazu, die sehr kurzen und die sehr langen Texte als einer Gruppe zugehörig zu klassifizieren.

Brunet's W: Dendrogramm der Texte der mg
Brunet’s W: Dendrogramm der Texte der mg


Sichel’s S

Im Fall von Sichel’s, das auf der Auswertung von hapax dislegomena beruht, lässt sich keine Hintergrundvariable wie Textlänge, Textsorte oder Entstehungszeit finden, die die Gruppierung der Texte plausibel machen würde.

mg Dendrogramm Sichel's S
Sichel’s S: Dendrogramm der Texte militanten Gruppe


Yule’s K

Gleiches gilt für Yule’s K.

Yule's K: Dendrogramm der Texte der militanten Gruppe
Yule’s K: Dendrogramm der Texte der militanten Gruppe

Je nach gewähltem Maß kommen man also zu einer sehr unterschiedlichen Gruppierung der Texte. Auch die Maße, in denen sich keine starken Frequenzeffekte zeigen, differieren in ihren Clustern. Die Interpretation dieser Ergebnisse im Hinblick auf die Autorschaft ist daher mehr als fragwürdig.

Nr. Token Datum Titel
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1 1632 2001-06-14 Die „Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft“ zur Rechenschaft ziehen – Wolfgang Gibowski, Manfred Gentz und Otto Graf Lambsdorff ins Visier nehmen!
2 1615 2001-06-21 Anschlagserklärung gegen den Niederlassungszweig der Mercedes-Benz AG auf dem DaimlerChrysler-Werk in Berlin-Marienfelde
3 3239 2002-02-05 Anschlagserklärung
4 788 2002-04-29 Anschlagserklärung
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8 1121 2003-12-31 Anschlagserklärung
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19 844 2006-05-23 Anschlagserklärung
20 1139 2006-09-03 Anschlagserklärung
21 517 2006-09-10 Anschlagserklärung
22 1824 2006-10-13 Dementi & ein bisschen Mehr
23 1253 2006-12-19 Anschlagserklärung: Das war Mord!
24 419 2007-01-14 Anschlagserklärung
25 505 2007-05-18 Anschlagserklärung
26 2023 Winter 2005 mg-express No.1
27 2114 Sommer 2006 mg-express No.3
28 2547 Herbst 2006 mg-express No.4
29 2384 Frühjahr 2007 mg-express no.5
30 3421 2001-11-23 Ein Debattenversuch der militanten gruppe (mg)
31 9093 2002-08-01 Eine Auseinandersetzung mit den Autonomen Gruppen und Clandestino über die Organisierung militanter Gruppenstrukturen
32 12021 Sommer 2005 Wir haben uns mit einer Menge Puste auf den Weg gemacht
33 1494 2005-01-29 Versuch eines Streitgespräches – Reaktion auf das Interview mit Norbert „Knofo“ Kröcher in der Jungle World Nr. 4/26.1.2005
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