Erkennung von Ideologien: Metasprachliche Markierungen als Kritik der herrschenden Semantik

Liebe Freunde der Sicherheit,

heute soll es nicht um Autorenerkennung gehen, sondern um die Frage, wie man den ideologischen Gehalt größerer Textmengen bestimmen kann. Illustrieren möchte ich dies an einem Thema, das uns besonders am Herzen liegt: die Treue zu unserer staatlich-politischen Grundordnung.

Systemkritische Bewegungen haben fast immer auch eine sprachkritische Tendenz. Ähnlich wie antipluralistische Systeme neigen sie zur Ausbildung einer eigenen Ideologiesprache, die zwar nicht notwendigerweise ausdrucksseitig (also im Hinblick auf die verwendeten Wörter und Wendungen), aber immer inhaltsseitig vom herrschenden Sprachgebrauch abweicht. Und dies mit gutem Grund: die herrschende Sprache – so die Vorstellung – habe verschleiernden Charakter und diene der herrschenden Klasse zur Gefügigmachung der Bürger, mithin als Herrschaftsinstrument.

Wahres Sprechen erfordert daher eine neue Sprache – so die an ontologisierende Sprachtheorien erinnernde Position. Selten kommen daher sich als revolutionär verstehende Bewegungen ohne kritische Thematisierungen der gegenwärtigen Sprache aus, bisweilen arbeiten sie sogar sprachliche Gegenentwürfe aus.

Letzteres geschieht häufig in Textsorten, die Wörterbüchern ähnlich sind. Beispielsweise findet sich im Netz ein rechtsextremes Elaborat, das eine Liste mit 126 zentralen Vokabeln aus den semantischen Feldern der Staatstheorie, der Philosophie, der Theologie und der „Rassenkunde“ enthält, die im Sinne der Autoren abweichend vom Alltagssprachgebrauch definiert werden. „Diskriminierung“ wird darin beispielsweise wie folgt bestimmt: „Kulturtugend. Abgrenzung (gegeneinander), Unterscheidung des Häßlichen vom Schönen, des Bösen vom Guten, des Falschen vom Wahren, des Schädlichen vom Nützlichen. Die Diskriminierung ist die grundlegende Fähigkeit, die menschliches Handeln auf den Gebieten der Kunst, der Religion, des Wissens, der Wirtschaft und der staatlichen wie bürgerlichen Ordnung der Gemeinwesen erst ermöglicht.“ Die Definition bezieht sich auf die Bedeutung des lateinischen Verbs „discriminare“, in der das Wort auch ins Deutsche entlehnt wurde. Die Bedeutungsdimensionen der Herabsetzung und der Benachteiligung, die seit dem frühen 20. Jahrhundert die Verwendung des Wortes prägen, werden getilgt.

Die Existenz solcher wörterbuchartigen Umdeutungen von Begriffen ist Symptom einer elaborierten und systematischen Kritik der „herrschenden“ Semantik. Häufiger jedoch findet sich in systemkritischen Texten eine eher unsystematische Ad-hoc-Kritik am gängigen Sprachgebrauch, indem die entsprechenden Ausdrücke metasprachlich markiert werden. Damit wird die Ablehnung der traditionellen Verwendungsweise der markierten Vokabeln zum Ausdruck gebracht. Diese Ablehnung kann sich entweder gegen die Wortform selbst oder gegen das Konzept, das dem Ausdruck zugrunde liegt, richten. Ein rechtskonservativer Politiker übt beispielsweise mit der Formulierung „Einwohner mit ‚Migrationshintergrund'“ Kritik an der in Anführungszeichen gesetzten Wortform und drückt damit aus, dass diese nicht Teil seines persönlichen politischen Vokabulars ist. Kritik am Konzept, das hinter einem Ausdruck steht, wird etwa geübt, wenn von der „sogenannten Demokratie“ die Rede ist. Solche Sprachthematisierungen haben eine strategische Funktion. Daneben gibt es natürlich noch weitere Sprachthematisierungen, die ausschließlich erläuternden Charakter besitzen. Hier werden Wörter definiert, erklärt, oder es wird ihr Gebrauch legitimiert.

Sprachkritische Markierungen bieten somit einen Ansatzpunkt für die informatische Operationalisierung von Einstellungen gegenüber der herrschenden Ordnung, insofern sie als Indikatoren der Kritik an zentralen politischen Konzepten und der herrschenden Semantik insgesamt gedeutet werden können.

Um zu überprüfen, ob die linguistische Kategorie der metasprachlichen Markierung als Indikator für Distanz zur herrschenden Semantik und damit als Marker systemkritischer Gesinnung gelten kann, habe ich zusammen mit Kollegen ein paar Proberechnungen an den Pressemitteilungen der Bundesparteien in der Legislaturperiode von 2005-2009 vorgenommen. Im Folgenden findet ihr die Frequenz von metasprachlichen Markierungen je 10.000 Wörtern (SPD und CDU stehen hier deshalb neben einander, weil sie eine Koalition bildeten; PDL-KPF steht für die Kommunistische Plattform innerhalb der Partei DIE LINKE.).

 


Anzahl metasprachlich markierter Ausdrücke je 10.000 Wörter in den Pressemitteilungen von Parteien (2005-2009)

Anzahl metasprachlich markierter Ausdrücke je 10.000 Wörter
in den Pressemitteilungen von Parteien (2005-2009)



Die Parteien und Gruppierungen an den Rändern des politischen Spektrum weisen eine höhere Frequenz metasprachlicher Markierungen auf als die im Bundestag vertretenen Parteien. Während bei letzteren der Höchstwert bei rund 20 Sprachthematisierungen je 10.000 Wörtern liegt (CDU), liegt er bei den anderen Parteien, die vom Verfassungsschutz überwiegend als extremistisch bezeichnet werden, zwischen rund 33 (MLPD) und 80 (DKP).

Auch eine qualitative Auswertung der metasprachlichen Ausdrücke, die in den Pressemitteilungen auftreten, bestätigt, dass die Parteien an den Rändern des politischen Spektrums ihre Ablehnung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung mit sprachlichen Mitteln explizit machen. Die folgende Abbildung zeigt den Anteil der metasprachlich markierten Ausdrücke zur Bezeichnung von Institutionen beziehungsweise Grundwerten des demokratischen Verfassungsstaates an allen metasprachlicher Markierungen.

 


Anteil von Wendungen zur Bezeichnung des demokratischen Verfassungsstaates und seiner Organe an allen metasprachlich markierten Ausdrücken (Pressemitteilungen von Parteien 2005-2009)

Anteil von Wendungen zur Bezeichnung des demokratischen Verfassungsstaates
und seiner Organe an allen metasprachlich markierten Ausdrücken
(Pressemitteilungen von Parteien 2005-2009)



Insbesondere bei den rechtsextremen Parteien, aber auch bei der MLPD findet sich demnach ein vergleichsweise hoher Anteil antipluralistisch intendierter metasprachlicher Markierungen. Zwar liegt der Wert bei den Grünen auch vergleichsweise hoch, allerdings ist die Frequenz metasprachlicher Markierungen bei den Grünen insgesamt derart gering, dass die 3,2 % markierter Ausdrücke, die Grundwerte und Institutionen des Verfassungsstaates bezeichnen, nicht ins Gewicht fallen.

Es scheint also, als seien Quantität und Qualität metasprachlich markierter Ausdrücke ein Indikator für eine kritische Haltung gegenüber der herrschenden politischen Ordnung. Allerdings muss ich noch ergänzen: bei Diskussionsforen ist die explorative Kraft metasprachlicher Markierungen viel geringer. Ein weiterer Beleg dafür, wie zentral die Kategorie Textsorte für die automatisierte Sprachanalyse ist.

Ach so, eins noch: klar werden hier Parteien vergleichen und einige gelten dem Verfassungsschutz als links- und andere als rechtsextrem. Ich möchte aber nicht den Eindruck erwecken, dass das Vergleichen ein Gleichsetzen ist.


4 Responses to "Erkennung von Ideologien: Metasprachliche Markierungen als Kritik der herrschenden Semantik"

  1. nitram sagt:

    Wie werden denn die metasprachlichen Markierungen gewonnen?

    Wenn dies von Hand geschieht, etwa dadurch dass bei Nazi-Texten LTI-Begriffe wie Volk und „Rasse“ gewaehlt werden und bei Texten aus dem Linken Spektrum Begriffe, die nach DDR klingen, etwa „Klassenkampf“, liegt darin aber ein Problem: Signifikante Marker fallen dem (politisch mittigen) Auswaehlenden eher ins Auge als die Marker, die man bei Pressemeldungen von SPD/CDU/Gruene finden wuerde. Dies wuerde das Ergebnis verfaelschen und Peaks an den ideologischen Raendern verursachen.

    Oder werden Marker automatisch gewaehlt, etwa wenn sie aus ihrer Haeufigkeitsklasse (wie beim Wortschatzprojekt der Uni Leipzig) herausragen?

    Werden die Marker pro Partei ausgewaehlt und gematched oder gibt es eine Menge von Markern, die bei allen Textanalysen benutzt werden?

    • admin sagt:

      @nitram: danke für deinen Kommentar. Die metasprachlichen Markierungen wurden in einem ersten Schritt automatisiert ausgelesen und ausgezählt, d.h. wir haben alle Nominalphrasen in Anführungszeichen und nach „sogenannt“ identifiziert. Die Häufigkeitsverteilung, die in der ersten Grafik zu sehen ist, hat uns schon sehr überrascht. In einem zweiten Schritt haben wir dann die Markierungen „von Hand“ gruppiert und kontextsensitiv ausgezählt. Die zweite Grafik zeigt dann den Anteil jener Markierungen, die Institutionen und Werte des demokratischen Verfassungsstaates thematisieren, an allen Markierungen. Da gibt es natürlich kleinere interpretative Spielräume und ein politisch mittig trainiertes Auge sieht vielleicht etwas einseitig. Aber in der Mehrheit handelt es sich schon um recht unstrittige Dinge.
      Wenn man sich die Distribution der Markierungen über die politischen Lager anschaut, dann gibt es natürlich signifikant linke („Parlamentarismus“, „sozial Marktwirtschaft“, „Gewaltmonopol“, „Wiedervereinigung“, „Aufarbeitung“) und signifikant rechte („Bundesbürger“, „Befreier“, „Vergangenheitsbewältigung“, „Volksverhetzung“, „Integration“, „Grundgesetz“), aber es gibt auch eine Schnittmenge zwischen den Parteien am linken und rechten Rand („Demokratie“, „Demokratisierung“, „Freiheit“, „Meinungsfreiheit“, „Menschenrecht“, „Sozialstaat“). Parteitypische Markierungen ließen sich sicher auch finden, das war aber nicht der Fokus in der vorgestellten Analyse.
      Häufigkeitsklassen scheinen mir eher bei Schlagwortanalysen eine interessante Kategorie, weniger bei metasprachlichen Markierungen. Die Markierungen selbst sind so niederfrequent, dass sie nur in sehr hohen HKs zu finden wären. Und dann sinkt die Aussagekraft.

  2. Tuli sagt:

    Mir scheint das Ergebnis am stärksten darüber auszusagen, welche Partei sich wie stark in den derzeitigen Diskursen wiederfindet: Einerseits der gesamtgesellschaftlichen Diskurse, andererseits im derzeitigen Diskurs über den demokratischen Verfassungsstaat.

    So betrachtet sind die Ergebnisse wenig überraschend (mit der möglichen Ausnahme DKP).



Pings responses to this post